Das Künden der Wahrheit und die Liebe

(hli.at) „Das Künden der Wahrheit zu unterlassen, ist nie ein Zeichen brüderlicher Liebe.“ – John Smeaton, Vorsitzender der weltweit ältesten Pro-Life-Organisation SPUC (Society for the Protection of Unborn Children) stellt die Rede des am 20. November 2010 in den Kardinalsrang erhobenen Erzbischofs Raymond L. Burkes, gehalten im Oktober diesen Jahres beim V. Internationalen Welt-Gebets-Kongreß für das Leben in Rom, in eine Reihe mit solchen Grundsatzdokumenten wie Humanae vitae und Evangelium vitae. – HLI-Österreich veröffentlicht den Vortrag Seiner Eminenz in eigener Übersetzung im Wortlaut.  Katholische Orthodoxie –
Das Gegenmittel zur Kultur des Todes

Vortrag, gehalten beim V. Internationalen Welt-Gebets-Kongreß für das Leben
im ISTITUTO PATRISTICO «AUGUSTINIANUM», Rom, 9. Oktober 2010

von Erzbischof em. Raymond Leo Burke

Einleitung

Es ist klar, daß wir gegenwärtig in einem Zeitabschnitt leben, in dem wir den heftigen und entscheidenden Kampf im Voranschreiten einer Kultur des Lebens weltweit erfahren. Viele Regierungen und internationale Organisationen verfolgen offen und aggressiv eine säkulare Agenda, die gegen das Leben und gegen die Familie gerichtet ist. Selbst wenn religiöse Formulierungen benutzt werden und der Name Gottes beschworen wird, werden den Menschen Programme und politische Richtlinien ohne jede Achtung vor Gott und dessen Gesetz vorgeschlagen, in den Worten des verehrungswürdigen Papstes Johannes Paul II.: „als wenn es Gott nicht gäbe“ (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici, Über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt, 30. Dezember 1988, 34).

Heute mehr denn je hat die Welt das in Schrift und Tradition zum Ausdruck gebrachte konsistente Zeugnis der Wahrheit nötig, welches die Möglichkeitsbedingung einer Kultur ist, die das Geschenk des Lebens und dessen Ursprung in der Zeugung vollauf achtet, d.h. das Zusammenwirken von Mann und Frau mit dem Schöpfer in der ehelichen Vereinigung sowie in der häuslichen, durch die Ehe grundgelegten Erziehung.

In seiner Enzyklika Caritas in veritate (Über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit, Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI.  vom 29. Juni 2009) lehrt uns Papst Benedikt XVI., daß die Entwicklung, für die Gott den Menschen erschaffen hat, durch die Errichtung der Kultur des Lebens vollendet wird:

    „Darum stellen uns die Liebe und die Wahrheit vor einen ganz neuen und     kreativen Einsatz, der freilich sehr umfangreich und komplex ist. Es geht darum,     die Vernunft     auszuweiten und sie fähig zu machen, diese eindrucksvollen neuen     Dynamiken zu erkennen und auszurichten, indem man sie im Sinn jener »Kultur     der Liebe« beseelt, deren Samen Gott in jedes Volk und in jede Kultur gelegt     hat“ (Caritas in veritate, 33).

Unsere unermüdliche Förderung der Kultur des Lebens, im Einklang mit der vom Lehramt der Kirche verkündeten Wahrheit, antwortet in der Tat auf die tiefste Sehnsucht eines jeden Menschen und einer jeden Gesellschaft. Sie antizipiert und bereitet vor „den neuen Himmel und die neue Erde“ (Offb 21,1), die unser Herr Jesus Christus bei Seinem endgültigen Kommen errichten wird.

Fundamentale Voraussetzungen

Eine erste fundamentale Voraussetzung meiner Darlegung besteht in der Wahrheit, daß der Kampf gegen die totale Säkularisation, welche sich per definitionem gegen das menschliche Leben und die Familie richtet, voller Hoffnung ist. Er ist beileibe nicht vergeblich, d.h. zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Die fundamentale Voraussetzung ist der Sieg des Lebens, den unser Herr Jesus Christus bereits errungen hat. 

Christus belebt die Kirche zur rechten Zeit mit der Gnade Seines Sieges über Sünde und Tod, bis zur Vollendung des Sieges, der bei Seinem letzten Kommen erreicht sein wird, im himmlischen Jerusalem. Trotz der schwerwiegenden Situation in unserer Welt, wo unschuldiges und wehrloses Leben angegriffen und die Integrität der Ehe als der Vereinigung eines Mannes und einer Frau in einem Bund lebenslanger, treuer und  zeugender Liebe attackiert wird, bleibt weiterhin eine starke Stimme, die unsere kleinsten und  verwundbarsten Brüder und Schwestern ohne Einschränkung oder Ausnahme verteidigt, ebenso wie die Wahrheit über die eheliche Vereinigung, so wie sie Gott in der Schöpfung grundlegte. Die christliche Stimme, die Stimme Christi, übermittelt durch die Apostel, bleibt kaftvoll in unserer Welt. Die Stimme der Männer und Frauen guten Willens, die das Gesetz Gottes, das in ihr Herz eingeschrieben ist, erkennen und ihm gehorchen, bleibt kraftvoll in unserer Welt.

Während wir in einer total säkularisierten Kultur leben, müssen wir unsere Augen öffnen um wahrzunehmen, daß viele den menschlichen Bankrott unserer Kultur erkennen und hoffnungsvoll Ausschau halten nach der Kirche,  um aufs Neue mit Begeisterung und Festigkeit die gottesfürchtigen und christlichen Grundlagen jeder menschlichen Gesellschaft einzufordern. Gott hat uns erschaffen, um das Leben zu wählen; der menschgewordene Sohn Gottes hat den Sieg des Lebens für uns gewonnen, den Sieg über die Sünde und den immerwährenden Tod (vgl. Dt 30,19; Joh 10,10). Darum dürfen wir nie in dem Kampf aufgeben, eine Kultur zu etablieren, die auf der Wahl des Lebens gründet, welche Gott in unser Herz eingeschrieben hat, und auf dem Sieg des Lebens, den Christus in unserer menschlichen Natur gewonnen hat. Tatsächlich werden wir täglich Zeuge, wie gottesfürchtige Brüder und Schwestern sich engagieren, auf daß die Angelegenheit des Lebens und der Familie in ihrem Zuhause, in ihren Gemeinwesen, in ihren Heimatländern und in der Welt voranschreitet.

Eine zweite fundamentale Voraussetzung meiner Darlegung ist die wesentliche Beziehung, die zwischen der Achtung des menschlichen Lebens und der Achtung hinsichtlich der Integrität von Ehe und Familie besteht. Der Anschlag auf das unschuldige und wehrlose Leben der Ungeborenen hat seinen Ursprung in einem irrigen Blick auf die menschliche Sexualität, der durch mechanische oder chemische Mittel die wesentlich prokreative Natur des ehelichen Aktes zu eliminieren sucht. Der Irrtum behauptet, daß der künstlich abgeänderte eheliche Akt weiterhin seine Integrität behält. Der behauptete Anspruch geht dahin, daß der Akt vereinigend und liebend sei, auch wenn die prokreative Natur des Aktes radikal verletzt wurde. Tatsächlich ist der Akt nicht vereinigend, da einer oder beide Partner einen wesentlichen Anteil der Hingabe, welche die Mitte des ehelichen Aktes ausmacht, zurückbehält. Die sogenannte kontrazeptive Mentalität ist im Kern gegen das Leben gerichtet. Viele Arten der sogenannten Verhütung sind tatsächlich abtreibend, d.h. sie zerstören am Beginn ein Leben, das bereits empfangen worden ist.

Die Manipulation des ehelichen Aktes hat, wie der Diener Gottes Papst Paul VI. prophetisch beobachtete, zu vielen Formen der Gewaltausübung hinsichtlich der Ehe und des familiären Leben geführt (vgl. Papst Paul VI., Humanae vitae, Über die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens, 25. Juli 1968, 7). Durch die Ausbreitung der Verhütungsmentalität, zumal unter den jungen Menschen, wird die menschliche Sexualität nicht länger als das Geschenk Gottes betrachtet, welches Mann und Frau in einem lebenslangen und treuen Band der Liebe zusammenführt, das durch das Geschenk neuen menschlichen Lebens gekrönt wird, sondern vielmehr als ein Mittel persönlicher Selbstbefriedigung. Wird jedoch die sexuelle Vereinigung nicht länger wahrgenommen als das, was sie von ihrer eigentlichen Natur her ist, nämlich zeugend, dann wird die menschliche Sexualität mißbraucht auf Arten, die zutiefst verletzend sind und in der Tat destruktiv für Einzelne wir für die Gesellschaft selbst. Man muß lediglich an die Verwüstung denken, die unserer Welt täglich durch die millionenschwere Dollarindustrie der Pornographie zugefügt wird. Für das Voranbringen der Kultur des Lebens ist die Verkündigung über die Wahrheit des ehelichen Aktes in seiner ganzen Fülle wesentlich sowie die Korrektur des Verhütungsdenkens, welches das Leben fürchtet und den Zeugungsakt fürchtet.

Es ist aufschlußreich zu bemerken, daß Papst Benedikt XVI. in seiner Sozialenzyklika Caritas in veritate besonders auf die Enzyklika Humanae vitae von Papst Paul VI. Bezug nimmt, indem er deren Bedeutung unterstreicht, „um den vollkommen menschlichen Gehalt der von der Kirche vorgeschlagenen Entwicklung zu beschreiben“ (Caritas in veritate, 15). Papst Benedikt XVI. macht deutlich, daß die Lehre von Humanae vitae nicht „eine bloß individuelle Moral“ war, indem er erklärt:

    „Humanae vitae zeigt die starken Verbindungen auf, die zwischen der Ethik des     Lebens und    der Sozialethik bestehen, und hat damit eine lehramtliche     Thematik eröffnet, die nach und    nach in verschiedenen Dokumenten Gestalt     gewonnen    hat, zuletzt in der Enzyklika Evangelium vitae Papst Johannes    Pauls II.“ (Caritas in veritate, 15).

Der Heilige Vater erinnert uns daran, welch wesentlichen Anteil das rechte Verständnis unserer Sexualität in einer wahrhaft menschlichen Entwicklung hat.

Indem er die ganze Frage der Fortpflanzung behandelt, unterstreicht er die entscheidende Natur des rechten Verständnisses von menschlicher Sexualität, Ehe und Familie. Er erklärt:

    „Die Kirche, der die wahre Entwicklung des Menschen am Herzen liegt,    empfiehlt ihm die umfassende Achtung menschlicher Werte, und dies gilt auch     für den Umgang mit der Sexualität: Man kann sie nicht auf eine lediglich    hedonistische und spielerische Handlung reduzieren, so wie man die    Sexualerziehung nicht auf eine technische Anleitung reduzieren kann, deren    einzige Sorge es ist, die Betroffenen vor eventuellen Ansteckungen oder vor    dem »Risiko« der Fortpflanzung zu schützen. Das würde einer Verarmung und    Mißachtung der tiefen Bedeutung der Sexualität gleichkommen, die jedoch    sowohl von der einzelnen Person wie von der Gemeinschaft anerkannt und    verantwortungsvoll angenommen werden soll“ (Caritas in veritate, 44).

Die Achtung vor der Integrität des ehelichen Aktes ist wesentlich für die Förderung der Kultur des Lebens. In den Woirten Papst Benedikts XVI. ist es notwendig, „den jungen Generationen wieder die Schönheit der Familie und der Ehe vor Augen zu stellen sowie die Übereinstimmung dieser Einrichtungen mit den tiefsten Bedürfnissen des Herzens und der Würde des Menschen“ (Caritas in veritate, 44).

Dementsprechend bemerkt der Papst, daß

    „die Staaten dazu aufgerufen (sind), politische Maßnahmen zu treffen, die die    zentrale Stellung und die Unversehrtheit der auf die Ehe zwischen einem    Mann und einer Frau gegründeten Familie, der Grund- und Lebenszelle der    Gesellschaft, dadurch fördern, indem sie sich auch um deren     wirtschaftliche    und finanzielle Probleme in Achtung vor ihrem auf  Beziehung beruhenden    Wesen kümmern“ (Caritas in veritate, 44).

Das Lehramt und die Förderung der Kultur des Lebens

Die Verbindung des Lehramtes zu unserem ewigen Heil liegt allein schon im Ursprung unseres Lebens in Christus. In einer Welt, die vor allem anderen den Individualismus und die Selbstbestimmung hochhält, ist der Christ leichthin versucht, das Lehramt in Verbindung mit seinem Individualismus und seinem Streben nach Selbstverwirlichung zu sehen. Mit anderen Worten: er ist versucht, die Autorität des Lehramtes zu relativieren. Dieses Phänomen ist heutzutage allgemein bekannt als „Cafeteria-Katholizismus“.

Der Dienst des Bischofs, des treuen Hirtens seiner Herde, ist wesentlich und in der Tat unersetzbar. Der verehrungswürdige Papst Johannes Paul II. hat in seinem  nachsynodalen apostolischen Schreiben Pastores gregis zum Thema „Der Bischof – Diener des Evangeliums Jesu Christi für die Hoffnung der Welt“, welches am 25. Jahrestag seiner Wahl auf den Stuhl Petri, am 16. Oktober 2003, promulgiert wurde, den Ritus der Bischofsweihe in Erinnerung gerufen, zumal wenn das Evangeliar während des Weihegebetes, das die Form des Sakramentes enthält, „über das Haupt des Erwählten“ gehalten wird, und bemerkt:

    „Damit soll einerseits zum Ausdruck gebracht werden, daß das Wort den    Dienst des Bischofs umfängt und behütet, und andererseits, daß das    Leben des Bischofs ganz dem Wort Gottes unterworfen sein muß in der    täglichen Hingabe an die Verkündigung des Evangeliums in geduldiger    Belehrung (vgl. 2 Tim 4)“ (Pastoris gregis, 28).

An einer früheren Stelle dieses Apostolischen Schreibens betont der Papst, „daß der Verkündigung Christi stets der erste Platz zukommt und daß der Bischof durch sein Wort und durch das Zeugnis seines Lebens der erste Verkünder des Evangeliums ist.“ Daraufhin ermahnt er die Bischöfe, „sich der Herausforderungen bewußt (zu) sein, die die gegenwärtige Stunde mit sich bringt, und den Mut (zu) haben, sich diesen zu stellen“ (Pastores gregis, 26).

Der gesamte Inhalt unseres Glaubens – das, was der heilige Paulus im Ersten und Zweiten Brief an Timotheus das depositum fidei (das Glaubensgut) nennt – ist begründet in der Heiligen Schrift und in der Tradition (1 Tim 6,20 und 2 Tim 1, 12-14). Der Glaube in seiner Gesamtheit wurde der Kirche Christi anvertraut durch den Dienst der Apostel. Das depositum fidei ist die Lehre der Apostel und das Leben dieser Lehre im Gebetsleben und im sakramentalen Leben, sowie das Bezeugen der Lehre im sittlichen Leben. Die Grundlage ist die gesunde Lehre, die ihren höchsten Ausdruck in den Sakramenten findet, vor allem in der Eucharistie, und die bezeugt wird im heilgmäßigen Leben des Gläubigen (vgl. Katechesmus der Katholischen Kirche, 84).

Die Verantwortung für das depositum fidei, das Glaubensgut, wie für dessen Weitergabe in jeder Zeit „ist nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung, Dei verbum, 18. November 1965, 10). „Das lebendige Lehramt“ oder das Magisterium der Kirche, ausgeübt vom Bischof von Rom und den Bischöfen in Einheit mit ihm, hat seine Vollmacht von unserem Herrn Jesus Christus. Christus hat den Aposteln, mit Petrus an deren Spitze, und ihren Nachfolgern, den Bischöfen, mit dem Nachfolger des Petrus an deren Spitze, die Vollmacht übertragen, die Lehre authentisch auszulegen (vgl. KKK, 85).

Der Bischof von Rom und die Bischöfe sind Diener Christi und Seines heilgen Wortes. Das Lehramt „lehrt nichts, als was überliefert ist, weil es das Wort Gottes aus göttlichem Auftrag und mit dem Beistand des Heiligen Geistes voll Ehrfurcht hört, heilig bewahrt und treu auslegt“ (Dei verbum, 10). Der Bischof von Rom und die Bischöfe in Einheit mit ihm lehren nur das, was als göttlich geoffenbarte Wahrheit im depositum fidei enthalten ist (vgl. KKK, 86).

Das Lehramt legt im Gehorsam gegenüber Christus und durch die von der besonderen Gnade des Heiligen Geistes verliehenen Kraft das Wort Gottes, welches in den heiligen Schriften und der Überlieferung enthalten ist, aus, und zwar hinsichtlich des Glaubens und der Sitten. Der römische Pontifex und die Bischöfe in Einheit mit ihm definieren die Glaubensdogmen, d.h. die Wahrheiten, die im depositum fidei enthalten sind, und Wahrheiten, „die mit diesen in einem notwendigen Zusammenhang stehen“ (KKK, 88).

Was die Sittenlehre betrifft, legt das Lehramt in Treue den Dekalog vor und die Erfordernis eines Lebens der Tugenden. Das Lehramt würde in seiner gottgegebenen Sendung versagen, wenn es die lebendige Tradition nicht auf die Umstände des täglichen Lebens in Christus anwenden würde. Der verehrungswürdige Papst Johannes Paul II. hielt mit folgenden Worten die Bischöfe an, das Magisterium hinsichtlich des sittlichen Lebens auszuüben:

    „Die von der Kirche aufgestellten Vorschriften spiegeln die göttlichen Gebote     wider, die ihre Zusammenfassung und ihre Krönung im Liebesgebot des     Evangeliums finden. Das Ziel, das jede göttliche Vorschrift anstrebt, ist das     höchste Wohl des Menschen. (…)  Man darf zudem nicht vergessen, daß die     Zehn Gebote fest in der menschlichen Natur selbst verwurzelt sind und daß     darum die Werte, die sie verteidigen, universale Gültigkeit besitzen. Das gilt     besonders für das menschliche Leben, das von seiner Empfängnis bis zu     seinem Ende durch den natürlichen Tod verteidigt werden muß, die Freiheit     der Menschen und Völker, die soziale Gerechtigkeit und die Strukturen zu     deren Durchsetzung“ (Pastores gregis, 29).

In einer Kultur, die – wie es unser Heiliger Vater in seiner Predigt am Beginn des Konklaves, in welchem er zum Nachfolger Petri gewählt wurde, nannte – von der „Diktatur des Relativismus“ befallen ist, trägt der Bischof als der hauptsächliche Lehrer  in Glaubens- und Sittenfragen in seiner Diözese eine besonders schwere und bleibende Bürde im Vorlegen der gesunden Lehre, welche das Wohl aller Gläubigen gewährleistet, vor allem jener, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu schützen oder zu verteidigen (zur „Diktatur des Relativismus“, s. „Initium Conclavis“, Acta Apostolicae Sedis, 97 (2005), 687).

Die Katechese ist höchste fundamentale Verantwortung, die der Bischof im Namen des Wohls aller seiner Obhut anvertrauten Gläubigen ausübt, letztlich im Hinblick auf ihr ewiges Heil. Johannes Paul II. erinnerte die Bischöfe daran, daß sie ihre Verantwortung durch das Kerygma erfüllen, die Erstverkündigung, „die immer notwendig ist, um den Glaubensgehorsam zu wecken, die sich aber gerade in der von religiöser Gleichgültigkeit und Unwissenheit so vieler Christen gekennzeichneten Situation der heutigen Zeit als noch dringender erweist“ (Pastores gregis, 29). Vereint mit dem kerygma ist die Katechese derjenigen, die sich den Glauben angeeignet haben und sich um Glaubensgehorsam bemühen. Papst Johannes Paul II. erklärte: „Deshalb ist es Pflicht jedes Bischofs, in seiner Teilkirche die effektive Priorität einer aktiven und wirksamen Katechese zu gewährleisten. Ja, er muß selber seine Sorge um die Katechese durch direktes Eingreifen wahrnehmen, das darauf abzielt, eine echte Liebe für die Katechese zu wecken und zu pflegen“ (Pastores gregis, 29).

Johannes Paul II. erinnert in der soeben zitierten Exhortatio die Bischöfe gleichfalls daran, daß das Lehramt die Vorschriften des natürlichen Sittengesetzes, die Gott dem Menschen ins Herz hinein geschrieben hat, enthält sowie die entsprechenden Erfordernisse im Verhalten, die der menschlichen Natur selbst inhärent sind und zur Ordnung der Welt, Gottes Schöpfung, gehören. Der Gehorsam gegenüber den Forderungen des natürlichen Sittengesetzes ist heilsnotwendig, darum fällt die Lehre des natürlichen Sittengesetzes in den Bereich der Vollmacht des Lehramtes und ist Teil von dessen erhabener Verantwortung: „Wenn das Lehramt der Kirche die Vorschriften des sittlichen Naturgesetzes in Erinnerung ruft, übt es einen wesentlichen Teil seiner prophetischen Aufgabe aus, den Menschen zu verkünden, was sie in Wirklichkeit sind, und sie daran zu erinnern, was sie vor Gott sein sollen“ (KKK, 2036). Wenn Bischöfe und Gläubige sich selbst mit Geist und Herz gehorsam den Antrieben des Heiligen Geistes unterwerfen, dann leuchtet die ewiggültige Wahrheit kraftvoll in der gesamten Kirche auf und erbaut den Leib Christi und bewirkt die Wandlung der Welt.

Die Antwort beider, des Bischofs und der Gläubigen, auf die Ausübung der Lehrautorität Christi ist Gehorsam, da sie in den verkündeten, den Glauben und die Sitten betreffenden Wahrheiten die unfehlbare Leitung zu ihrem Heil in Christus finden, der zu Seinen Aposteln sagte: „Wer euch hört, der hört Mich“ (Lk 10, 16). Die Worte unseres Herrn sind unmißverständlich in ihrer Bedeutung für uns.

Gehorsam dem Lehramt gegenüber ist eine Tugend, die man erwirbt, indem man diesen Gehorsam praktiziert. Wenn die Hirten der Herde dem Lehramt, dessen Ausübung ihnen obliegt, gehorsam sind, dann wachsen die Mitglieder der Herde im Gehorsam und schreiten mit Christus voran auf dem Weg des Heils. Wenn der Hirte nicht gehorsam ist, dann gibt die Herde leichthin der Verwirrung und dem Irrtum nach. Der Hirte muß zumal aufmerksam sein auf die Anschläge Satans, der weiß, daß dann, wenn er den Hirten niederschlagen kann, es ein Leichtes ist, die Herde zu zerstreuen (vgl. Sach 13,7).

In seiner Enzyklika Fides et ratio (Über das Verhältnis von Glaube und Vernunft) gemahnte uns der verehrungswürdige Papst Johannes Paul II. daran, daß das Magisterium strengstens an die Heilige Überlieferung und an die Heilige Schrift gebunden ist, während zur gleichen Zeit Heilige Überlieferung und Heilige Schrift von einer Generation in die nächste weitergereicht werden durch den Gehorsam dem Magisterium gegenüber. Papst Johannes Paul II. erklärte:

    „Die ‚höchste Richtschnur ihres Glaubens‘ kommt ihr aus der Einheit zwischen     der Heiligen Überlieferung, der Heiligen Schrift und dem Lehramt der Kirche     zu, die der Heilige Geist so geknüpft hat, daß keine der drei ohne die anderen     bestehen kann“ (Fides et ratio, 55).

Der Glaube ist ein lebendiger. Der Glaube wird empfangen durch das Wirken des Heiligen Geistes, der in der Seele wohnt, und dieses findet seinen Ausdruck in der reinigenden und stärkenden Kraft der Handlungen des Heiligen Geistes, der den Menschen drängt, seinen Glauben in die Tat umzusetzen.

Der Glaubensgehorsam besteht darin, Geist und Herz so zu bereiten, daß man all das, was Gott uns offenbart hat, gläubig annimmt, und all das tut, worum Er uns bittet. Der Glaubensgehorsam ist die angemessene Antwort auf die Offenbarung Gottes, die ihre Erfüllung in unserem Herrn Jesus Christus hat (vgl. Hebr 11,8). Gehorsam dem Lehramt gegenüber als dem Wächter und Lehrer des Glaubens ist die fundamentale Disposition des getauften und gefirmten Katholiken (vgl. KKK, 142, 143).

Die Selige Jungfrau Maria lebte den Glaubensgehorsam vollkommen. Anläßlich des Besuchs Marias bei ihrer Kusine Elisabeth, beschrieb diese Marias Identität als Mutter des Erlösers mit den Worten: „Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1, 45). Marias Antwort auf die Ankündigung des Erzengels Gabriel drückte vollkommen die Verfügbarkeit des allumfassenden Gehorsams aus, welcher ihre Seele prägte: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast” (Lk 1, 38). Marias Antwort ist das Vorbild für unsere tägliche Antwort auf Gottes Willen in unserem Leben, den das Magisterium der Kirche uns lehrt. Die letzten, im Evangelium überlieferten Worte der Muttergottes sind die Summe ihrer mütterlichen Wegweiseung für uns. Als die Diener, die sich um den Wein kümmerten, bei der Hochzeit zu Kana zu ihr kamen und um Hilfe baten, wies sie sie an Gottes Sohn, ihren Sohn, mit dem Rat: „Was Er euch sagt, das tut!” (Joh 2,5). Indem sie ihrem mütterlichen Rat gehorchten, wurden die Diener die Zeugen des ersten Wunders Jesu in seinem öffentlichen Wirken.

Glaube ist zuallererst „persönliche Bindung des Menschen an Gott” (KKK, 150). Wenn wir all dem, was Gott uns offenbart hat, gläubig zustimmen, dann setzen wir unser ganzes Vertrauen in Ihn, in Seine Vorsehung. Solch ein Vertrauen kann allein in Gott gesetzt werden. Glauben an Gott, den Vater, und vollkommenes Vertrauen in Seine Verheißungen ist klarerweise Glauben an Jesus Christus, Seinen eingeborenen Sohn, und an den Heiligen Geist, der stets bei uns bleibt in der Kirche (vgl. KKK, 151,152). Unser Herr Jesus Christus macht uns eins mit Ihm, indem wir all das tun, um was uns der Vater bittet durch die Ausgießung der siebenfachen Gabe des Heilung Geistes in unsere Seelen: die Gnade des Heiligen Geistes versetzt uns in die Lage, Gottes Wille zu erkennen und ihn mutig auszuführen. Die siebenfache Gabe des Heiligen Geistes schafft in unseren Seelen eine siebenfache Disposition, die man als den Glaubensgehorsam beschreiben kann.

Das sittliche Leben fließt aus unserem Glauben an Gott. Es ist der „Glaubensgehorsam” in Aktion. Die erste Tafel der Zehn Gebote regelt unsere rechte Beziehung zu Gott, die unsere rechte Beziehung zu den anderen und zur Welt ermöglicht, welche von der zweiten Tafel geregelt wird. Wenn wir uns sittlich verfehlen, dann verfehlen wir uns auch im Glauben (vgl. KKK, 2087, 2088). Ich erinnere oftmals an die Worte eines weisen Lehrer des kanonischen Rechts, der mich die kirchliche Disziplin hinsichtlich der Kleriker lehrte. Mehr als einmal erzählte er der Unterrichtsklasse: „Dort, wo es Probleme mit der Keuschheit gibt, dort gibt es Probleme mit dem Gehorsam.” Unsere Rebellion gegen die sittliche Wahrheit ist eine Rebellion gegen Gott und all das, was Er uns lehrt.

Herausforderungen im Gehorsam gegenüber dem Lehramt

Gehorsam dem Lehramt gegenüber ist für den Menschen in jedem Zeitlater  schwierig. Die Praxis des “Glaubensgehorsams” ist schwer zu meistern. Die Schwierigkeit kommt sowohl aus unserem Inneren wie von außen. Wir leiden an der Sünde unserer Stammeltern, die im Grunde eine Sünde stolzen Ungehorsams und einer Rebellion gegen Gottes Willen war. Die Gnade des Heiligen Geistes, die durch die Taufe in unsere Seelen gegossen, durch die Firmung in unseren Seelen gestärkt und zum Wachsen gebracht und durch die heilige Eucharistie in unseren Seelen genährt wird – sie allein hilft uns, unsere angeborene Neigung zur Rebellion und zum Ungehorsam in Griff zu bekommen.

Außerhalb unser schlägt uns Satan unablässig die gleiche Versuchung vor, die er unseren Stammeltern vorschlug, die Versuchung so zu handeln, als ob Gott nicht existierte, zu handeln so, als seien wir Götter. Die Welt um uns, die Kultur, in der wir leben, ist – bis hin zu der Stufe, daß sie Satans Täuschung erlegen ist – eine Quelle starker Versuchung für uns. Tatsächlich wurde unsere Kultur als „gottlos” beschrieben, sowohl vom verehrungswürdigen Papst Johannes Paul II. wie auch von Papst Benedikt XVI. Unsere Kultur lehrt uns so zu handeln, als ob Gott nicht existierte. Zur selben Zeit lehrt sie uns radikalen Individualismus und Eigennutz, die uns von der Gottesliebe und der Nächstenliebe wegführen.

Oftmals ist der Mangel an Gehorsam dem Lehramt gegenüber nicht vollständig, sondern auswahlweise. Unsere Kultur lehrt uns zu glauben, was paßt, und zurückzuweisen, was uns schwerfällt oder uns herausfordert. Derart können wir leichthin in einen „Cafeteria-Katholizismus” verfallen, eine Glaubenspraxis, die aus dem depositum fidei, dem Glaubensgut, herauspickt und auswählt, was zu glauben und in die Tat umzusetzen ist. Ein äußerst tragisches Beispiel für den Mangel an Glaubensgehorsam, auch was manche Bischöfe betrifft, war die Antwort Vieler auf die Enzyklika Humanae vitae von Papst Paul VI., die am 25. Juli 1968 veröffentlicht wurde. Die daraus resultierende Verwirrung verführte viele Katholiken zu einem sündigen Lebenswandel, was die Weitergabe und die Erziehung menschlichen Lebens betrifft.

Der Mangel an vollständigem Gehorsam gegenüber dem Lehramt zeigt sich gleichfalls in der Heuchelei von Katholiken, die vorgeben, ihren Glauben zu leben, die sich jedoch weigern, die Wahrheit des Glaubens in den politischen, medizinischen, geschäftlichen oder den anderen menschlichen Unternehmungen in die Praxis umzusetzen. Diese Katholiken geben vor, sich „persönlich” an die Wahrheit des Glaubens zu halten, etwa was die Unverletzbarkeit des unschuldigen und wehrlosen menschlichen Lebens betrifft, im politischen Bereich jedoch oder in der medizinischen Praxis sind sie mitbeteiligt am Anschlag auf unsere ungeborenen Brüder und Schwestern oder auf unsere Brüder und Schwestern, die unter der Last der Jahre durch Krankheit oder andere besondere Nöte gebrechlich geworden sind. Ihr Ungehorsam bezieht sich nicht auf irgendeine Sonderwahrheit im Leben der Kirche, d.h. nicht auf irgendeine Beichtmaterie, sondern ist Ungehorsam gegenüber der Wahrheit des göttlichen Sittengesetzes, das in jedes menschliche Herz eingeschrieben und darum von allen zu befolgen ist.

Der Glaubensgehorsam verpflichtet uns in jeder Lebenssituation, auch in den Situationen, in denen es sehr schwerfällt das zu tun, was Gott von uns verlangt. Im äußersten Fall könnte der Glaubensgehorsam das Martyrium erfordern. In seiner Enzyklika Veritatis splendor (Über einige grundlegende Fragen der kirchlichen Morallehre, vom 6. August 1993) lehrte uns der verehrungswürdige Papst Johannes Paul II., daß es keinen Kompromiß hinsichtlich des Gehorsams gegenüber der Morallehre des Lehramtes geben kann:

    „Auch in den schwierigsten Situationen muß der Mensch die sittlichen Normen     beachten, um den heiligen Geboten Gottes gehorsam und in    Übereinstimmung mit der eigenen Personenwürde zu sein. Sicherlich verlangt    die Harmonie zwischen Freiheit und Wahrheit mitunter durchaus    ungewöhnliche Opfer und wird um einen hohen Preis erlangt: er kann auch    das Martyrium einschließen” (Veritatis splendor, 102a).

Das Lehramt und das öffentliche Leben

Was das Lehramt und das öffentliche Leben betrifft, so hat sich vielerorts die falsche Ansicht entwickelt, daß ein Christ oder überhaupt ein Gläubiger sein Glaubensleben vom öffentlichen Leben abzusondern habe, um ein wahrer Staatsbürger zu sein. Folgt man dieser Ansicht, dann endet man zum Beispiel bei Christen, die persönlich für sich in Anspruch nehmen, gläubige Mitglieder der Kirche zu sein und dementsprechend die Gebote des natürlichen Sittengesetzes einzuhalten, während sie das Recht fördern und unterstützen, das Sittengesetz in seinen fundamentalsten Grundsätzen zu verletzen. Wir stoßen auf selbsternannte Katholiken, die beispielsweise das Recht der Frau, die Tötung des Kindes in ihrem Schoß durchzuführen, fördern und unterstützen, desgleichen das Recht zweier gleichgeschlechtlicher Personen auf die Anerkennung, die der Staat einem Mann und einer Frau zuerkennt, die in den Stand der Ehe eingetreten sind. Es ist nicht möglich, ein praktizierender Katholik zu sein, und sich öffentlich derart aufzuführen.

Während die Kirche die Auferlegung rein konfessioneller Praktiken der Allgemeinbevölkerung nicht vorschlägt, muß sie gleichwohl die Lehre und die Aufrechterhaltung des Sittengesetzes, das allen Menschen gemeinsam und im Herzen jeder wahren Religion verankert ist, pflegen. Welche Regierungsform würde verlangen, daß ihre Bürger und ihre politischen Führer ohne den Bezug zu den fundamentalen Erfordernissen des Sittengesetzes agierten?

Wenn auch wahre Religion das natürliche Sittengesetz lehrt, ist die Befolgung des Sittengesetzes gleichwohl keine konfessionelle Praxis. Sie ist vielmehr eine Antwort auf das, was in den Tiefen eines jeden menschlichen Herzens eingeschrieben ist. Religiöser Glaube artikuliert einfachhin das natürliche Sittengesetz und ermöglicht es den Gläubigen, bereitwilliger wahrzunehmen, was ihre eigene menschliche Natur und die Natur der Dinge von ihnen verlangt, und ihr Leben in Einklang zu bringen mit der Wahrheit des Erkannten. Darum haben in der Vergangenheit Regierungen die Bedeutung des religiösen Glaubens für das Leben einer Nation anerkannt. In der Tat haben die Gesetze vieler Nationen zum Ziel gehabt, die Lehre und die Praxis des religiösen Glaubens zum Wohle aller zu schützen.

In seiner Enzyklika Caritas in veritate erinnert uns Papst Benedikt XVI. daran:

„Die christliche Religion und die anderen Religionen können ihren Beitrag zur Entwicklung nur leisten, wenn Gott auch im öffentlichen Bereich mit spezifischem Bezug auf die kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und insbesondere politischen Aspekte Platz findet. Die Soziallehre der Kirche ist entstanden, um dieses »Statut des Bürgerrechts« der christlichen Religion geltend zu machen. Die Verweigerung des Rechts, öffentlich die eigene Religion zu bekennen und dafür tätig zu sein, daß auch das öffentliche Leben über die Wahrheiten des Glaubens unterrichtet wird, bringt negative Folgen für die wahre Entwicklung mit sich. (…) Die Vernunft bedarf stets der Reinigung durch den Glauben, und dies gilt auch für die politische Vernunft, die sich nicht für allmächtig halten darf. Die Religion bedarf ihrerseits stets der Reinigung durch die Vernunft, um ihr echtes menschliches Antlitz zu zeigen. Der Abbruch dieses Dialogs ist mit einem schwer lastenden Preis für die Entwicklung der Menschheit verbunden“ (Caritas in veritate, 56).

In der gegenwärtigen Weltsituation  hat der christliche Glaube eine entscheidende Verantwortung, um deutlich das natürliche Sittengesetz und dessen Forderungen zu artikulieren.

Unter dem kontinuierlichen Einfluß einer rationalistischen und säkularen Philosophie, die nicht länger Gott, sondern den Menschen zum Maßstab dessen macht, was gut und recht ist, wurden viele hinsichtlich der grundlegendsten Wahrheiten in Verwirrung gestürzt, so etwa über die unverletzbare Würde des unschuldigen menschlichen Lebens vom Beginn der Empfängnis bis zum Augenblick des natürlichen Todes und über die Integrität der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau als der ersten und unersetzbaren Zelle des gesellschaftlichen Lebens. Wenn Christen darin versagen, das natürliche Sittengesetz zu artikulieren und aufrechtzuerhalten, dann versagen sie in der fundamentalen Aufgabe des Patriotismus, in der Liebe zu ihrem Land, dessen Gemeinwohl sie zu dienen haben.

Papst Benedikt XVI. gemahnt uns: „Ein solches universales Sittengesetz ist die feste Grundlage eines jeden kulturellen, religiösen und politischen Dialogs und erlaubt dem vielfältigen Pluralismus der verschiedenen Kulturen, sich nicht von der gemeinsamen Suche nach dem Wahren und Guten und nach Gott zu lösen“ (Caritas in veritate, 59). Indem der Papst Bezug nimmt auf den fundamentalen Defekt unserer Gesellschaft, nämlich „eines Gewissens, das bereits unfähig ist, das Menschliche zu erkennen“, erklärt Benedikt XVI.: „Gott enthüllt dem Menschen den Menschen; die Vernunft und der Glaube arbeiten zusammen, ihm das Gute zu zeigen, wenn er es nur sehen wollte; das Naturrecht, in dem die schöpferische Vernunft aufscheint, zeigt die Größe des Menschen auf, aber auch sein Elend, wenn er den Ruf der moralischen Wahrheit nicht annimmt“ (Caritas in veritate, 75)

Das Ärgernis des Ungehorsams gegenüber dem Lehramt

Wenn wir die Verantwortung der Christen und aller Menschen guten Willens erkennen, das natürliche Sittengesetz deutlich zum Ausdruck zu bringen und aufrechtzuerhalten, dann haben wir auch das Ärgernis zu erkennen, welches dadurch gegeben ist, daß Christen im öffentlichen Leben in der Aufrechterhaltung des Sittengesetzes versagen. Wenn diejenigen, die sich als Christen bekennen, zur gleichen Zeit eine Politik und Gesetze begünstigen und bewerben, welche die Zerstörung von unschuldigem, wehrlosem menschlichen Leben mit sich bringen und welche die Integrität von Ehe und Familie verletzen, dann werden die Bürger verwirrt und in die Irre geführt hinsichtlich der Grundlagen des Sittengesetzes.

In unserer Zeit hat man große Bedenken, über Ärgernisse zu sprechen, so als sei das Ärgernis irgendwie nur ein Phänomen, das Leute mit eingeschränkter oder unaufgeklärter Vernunft  beträfe, und demzufolge ein Werkzeug dieser Personen, um andere harsch und fälschlich zu verdammen. Gewiß gibt es so etwas wie ein pharisäisches Ärgernis, d.h. eine böswillige Interpretation von moralisch guten oder zumindest moralisch indifferenten Handlungen anderer. Der Begriff rührt vom vermeintlichen Ärgernis her, welches Jesus bei den Pharisäern anläßlich der Heilung des Blindgeborenen auslöste (vgl. Joh 9,13-34).

Doch es gibt auch das echte Ärgernis, nämlich das Ärgernis, das wir geben, wenn wir durch unsere Worte, Taten und Unterlassungen andere zu Verwirrung und Irrtum verführen und folglich zur Sünde verleiten. Unser Herr war unzweideutig in der Verurteilung jener, die aufgrund ihrer Handlungen oder Unterlassungen andere verwirren oder zur Sünde verleiten. Als Er seine Jünger über die Verführungen belehrte, erklärte Er: „Es ist unvermeidlich, daß Verführungen kommen. Aber wehe dem, der sie verschuldet. Es wäre besser für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als daß er einen von diesen Kleinen zum Bösen verführt“ (Lk 17,1-2).

Es ist klar, daß unser Herr die Vermeidung von Ärgernissen, zumal von jeder Handlung oder Unterlassung, welche andere zur Sünde verleiten könnte, als eine vorrangige Verantwortung mit den ernstesten Folgen erachtete. Die Worte Jesu sind diesbezüglich nichts weniger als heftig.

Die Tatsache zu ignorieren, daß Katholiken im öffentlichen Leben, die beharrlich das Sittengesetz hinsichtlich der Unverletzbarkeit des unschuldigen menschlichen Lebens oder der Integrität der ehelichen Gemeinschaft verletzen, viele in Verwirrung stürzen oder in irrige Auffassungen über die grundlegendsten Lehren des Sittengesetzes, trägt faktisch zur Verwirrung und zum Irrtum bei, welche unsere Brüder und Schwestern schwerst schädigen und damit die ganze Nation schädigen. Die beständige Disziplin der Kirche hat unter anderem aus diesem Grund untersagt, daß die Heilige Kommunion oder ein kirchliches Begräbnis denjenigen gewährt wird, die trotz Ermahnung darauf beharren, das Sittengesetz weiterhin schwer zu schädigen (vgl. CIC, cann. 915; 1184, §1,31).

Es wurde gesagt, daß diese disziplinarischen Maßnahmen, denen die Kirche die Jahrhunderte hindurch beständig treu geblieben ist, sich anmaßen, ein Urteil über das ewige Heil der Seelen abzugeben, ein solches Urteil stünde jedoch allein Gott zu, darum sollten jene aufgegeben werden. Dem entgegen sind freilich diese disziplinarischen Maßnahmen kein Urteil über das ewige Seelenheil der betreffenden Person. Sie sind schlicht und einfach die Anerkennung einer objektiven Wahrheit, der Tatsache nämlich, daß die öffentlichen Handlungen der Seele eine schwerwiegende Verletzung des Sittengesetzes darstellen, und dies zum eigenen schweren Schaden und zum schweren Schaden anderer, die durch diese Handlungen verwirrt oder in die Irre geführt werden. Die Kirche vertraut jede Seele der Barmherzigkeit Gottes an, die bei weitem unsere Vorstellungskraft überschreitet; dies ist jedoch keine Entschuldigung für sie, die Wahrheit des Sittengesetzes nicht zu verkünden, und zwar auch, zum Seelenheil aller, durch Anwendung ihrer altbewährten disziplinarischen Maßnahmen.

Wenn eine Person öffentlich für schwere sündhafte Handlungen eingetreten ist und daran mitgewirkt hat, derart viele in die Verwirrung und in den Irrtum führend hinsichtlich fundamentaler Fragen der Achtung des menschlichen Lebens sowie der Integrität von Ehe und Familie, dann hat ihre Reue über solche Handlungen auch öffentlich zu sein. Die betreffende Person trägt eine erhebliche Verantwortung für das schwerwiegende Ärgernis, das sie verursachte. Die Verantwortung ist vor allem erheblich bei politischen Verantwortungsträgern. Die Wiedergutmachung eines solchen Ärgernisses beginnt mit der öffentlichen Anerkennung des eigenen Irrtums und der öffentlichen Erklärung, daß er dem Sittengesetz Folge leistet. Die Seele, welche die Schwere ihrer Tat wahrnimmt, wird tatsächlich sogleich die Notwendigkeit der öffentlichen Wiedergutmachung verstehen.

Wenn es auch stimmt, daß es stets die Gefahr gab, durch öffentliche und sündhafte Handlungen oder Unterlassungen anderen zum Ärgernis zu werden, so hat sich doch diese Gefahr heutzutage erhöht. Aufgrund der im öffentlichen Diskurs anzutreffenden allgemeinen Verwirrung über das Sittengesetz, die zudem in Gesetze und richterliche Verlautbarungen Einlaß gefunden hat, ist der Christ heute, wenn es darum geht, das Sittengesetz zum Ausdruck zu bringen und aufrechtzuerhalten, zu einem gleichsam höheren Maß an Klarheit verpflichtet.

Es ist insbesondere heimtückisch, daß unsere Gesellschaft, die zutiefst verwirrt ist über die grundlegenden Güter, zugleich glaubt, daß das Ärgernis der Vergangenheit angehört. Die Handschrift des Vaters der Lüge ist zu erkennen in der Mißchtung der Situation des Ärgernisses oder in der Verhöhnung oder selbst der Rüge derjenigen, die den Ärger wahrnehmen. In seiner Lehre über das Verhältnis von „Humanökologie“ und „Umweltökologie“ unterstreicht Papst Benedikt XVI. den Widerspruch im gängigen moralischen Verständnis, der uns und insonderheit die Jugendlichen in ernstzunehmende Verwirrung und Irrtümer leitet:

„Wenn das Recht auf Leben und auf einen natürlichen Tod nicht respektiert wird, wenn Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt des Menschen auf künstlichem Weg erfolgen, wenn Embryonen für die Forschung geopfert werden, verschwindet schließlich der Begriff Humanökologie und mit ihm der Begriff der Umweltökologie aus dem allgemeinen Bewußtsein. Es ist ein Widerspruch, von den neuen Generationen die Achtung der natürlichen Umwelt zu verlangen, wenn Erziehung und Gesetze ihnen nicht helfen, sich selbst zu achten. Das Buch der Natur ist eines und unteilbar sowohl bezüglich der Umwelt wie des Lebens und der Bereiche Sexualität, Ehe, Familie, soziale Beziehungen, kurz der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen. Unsere Pflichten gegenüber der Umwelt verbinden sich mit den Pflichten, die wir gegenüber dem Menschen an sich und in Beziehung zu den anderen haben. Man kann nicht die einen Pflichten fordern und die anderen unterdrücken“ (Caritas in veritate, 51).

Eine der Ironien der gegenwärtigen Situation besteht darin, daß die Person, die das Ärgernis der schwerwiegenden sündhaften öffentlichen Handlungen eines katholischen Mitbruders  wahrnimmt, angeklagt wird, es an mitbrüderlicher Liebe fehlen zu lassen und innerhalb der Kirche für Spaltung zu sorgen. In einer Gesellschaft, deren Denken dominiert wird von der „Diktatur des Relativismus“ und in welcher politische Korrektheit und menschliche Rücksicht die ultimativen Kriterien für das sind, was zu tun und was zu unterlassen ist, macht die Vorstellung, daß man jemanden in den moralischen Irrtum führt, wenig Sinn. Was in einer solchen Gesellschaft erstaunen erregt, ist die Tatsache, daß jemand die politische Korrektheit nicht beachtet und dadurch scheinbar Spaltung in den sogenannten gesellschaftlichen Frieden bringt.

Zu lügen und das Künden der Wahrheit zu unterlassen, ist jedoch nie ein Zeichen der brüderlichen Liebe. Eine Einheit, die nicht auf der Wahrheit des Sittengesetzes gegründet ist, ist nicht die Einheit der Kirche. Die Einheit der Kirche gründet darin, die Wahrheit in Liebe auszusprechen. Diejenige Person, die bei öffentlichen Handlungen von Katholiken, die schwerwiegend gegen das Sittengesetz verstoßen, das Ärgernis wahrnimmt, zerstört nicht nur nicht die Einheit, sondern lädt die Kirche ein wiederherzustellen, was ganz offensichtlich eine ernstzunehmende Bresche in deren Leben ist. Würde sie im Falle der öffentlichen Unterstützung von Anschlägen auf das menschliche Leben und die Familie das Ärgernis nicht wahrnehmen, dann wäre ihr Bewußtsein bezüglich der Wirklichkeiten, die am meisten heilig sind, nicht ausgebildet oder vernebelt.

Das Gemeinwohl und die Förderung der Kultur des Lebens

Um die Kultur des Lebens voranzubringen, müssen wir schließlich einen klaren Begriff über die objektive Bedeutung des Gemeinwohls haben. Das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil beschrieb das Gemeinwohl als „die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen“ (Gaudium et spes, 27). Diese Vollendung von Einzelnen wie von Gesellschaften steht nicht im subjektiven Ermessen von denjenigen, die etwa an der Macht sind. Die Vollendung, um die es geht, ist in die ureigene Natur des Menschen eingeschrieben, ja in die Natur selbst. Es ist die Vollendung, auf die hin Gott uns und unsere Welt geschaffen hat, nicht die Vollendung, die wir zu irgendeinem Zeitpunkt vielleicht anziehend oder nützlich finden. Es ist interessant anzumerken, daß das englische Wort fulfillment (Vollendung) die Übersetzung des lateinischen Wortes perfectio ist, welches die Vollkommenheit des Einzelnen oder der Gruppe meint, gemäß der wesenseigenen Natur und letzten Ausrichtung des Menschen.

Um die Kultur des Lebens voranzubringen, müssen wir klar sein über die objektive Natur des Gemeinwohls und die Vollkommenheit, die es ermöglicht. Nicht jedermann, der den Begriff des Gemeinwohls benutzt, versteht dessen wahre Bedeutung. Ein berühmter europäischer katholischer Theologe, der die Grußworte des amerikanischen Präsidenten Barack Obama bei der akademischen Abschlußfeier an der Notre Dame Universität am 17. Mai 2009 kommentierte, stellte fest:

„Tatsächlich scheint die Rede, gehalten an der Notre Dame Universität, durchsetzt von Bezügen, die aus der christlichen Überlieferung stammen. Zum Beispiel kehrt in ihr oftmals ein Ausdruck wieder – der Begriff des ‚gemeinsamen Grundes’ (common ground) – , der mit einem fundamentalen Konzept der kirchlichen Soziallehre, nämlich dem des Gemeinwohls, korrespondiert“ (Georges Cottier, O.P., La politica, la morale e il peccato originale, in: 30giorni, 2009, no.5, 33).

Das Gemeinwohl bezieht sich auf eine objektive Vollkommenheit, welche nicht durch die gemeinsame Übereinkunft einiger von uns definiert ist. Das Gemeinwohl ist definiert durch die Schöpfung selbst, da es aus der Hand des Schöpfers stammt. Die Vorstellung des gemeinsamen Grundes korrespondiert nicht nur nicht mit der Realität des Gemeinwohls, sie kann selbst sogar zu dieser im Gegensatz stehen, dann etwa, wenn in einer allgemeinen gesellschaftlichen Übereinkunft etwas als gut für die Gesellschaft akzeptiert wird, was in Wirklichkeit immer und überall ein Übel ist.

In den Worten Papst Benedikts XVI.: Das Gemeinwohl „ist das Wohl jenes ‚Wir alle’, das aus Einzelnen, Familien und kleineren Gruppen gebildet wird, die sich zu einer sozialen Gemeinschaft zusammenschließen“ (Caritas in veritate, 7). Das Gemeinwohl entspricht den realen Bedürfnissen unserer Nächsten: „Jeder Christ ist zu dieser Nächstenliebe aufgerufen, in der Weise seiner Berufung und entsprechend seinen Einflußmöglichkeiten in der Polis“ (Caritas in veritate, 7). Papst Benedikt XVI. tröstet uns und drängt uns, vorwärtszugehen in der Suche nach dem Gemeinwohl:

„Die Liebe Gottes ruft uns zum Aussteigen aus allem, was begrenzt und nicht endgültig ist; sie macht uns Mut, weiter zu arbeiten in der Suche nach dem Wohl für alle, auch wenn es sich nicht sofort verwirklichen läßt, auch wenn das, was uns zu verwirklichen gelingt – uns und den politischen Autoritäten und Wirtschaftsfachleuten –, stets weniger ist als das, was wir anstreben. Gott gibt uns die Kraft, zu kämpfen und aus Liebe für das gemeinsame Wohl zu leiden, weil er unser Alles, unsere größte Hoffnung ist“ (Caritas in veritate, 78).

Fazit

Laßt uns, dem Lehramt gehorsam, mit neuer Begeisterung und neuer Energie uns einsetzen im Kampf für die Förderung der Kultur des Lebens in unserer Welt. Der Kampf ist anspruchsvoll, und die widersacherischen Kräfte sind zahlreich und raffiniert. Doch der Sieg ist bereits errungen, und der Sieger unterläßt es nie, im Kampf an unserer Seite zu stehen, getreu Seiner Zusage an uns: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20).

Allein der Gehorsam dem Lehramt gegenüber ist der Weg, am Sieg des ewigen Lebens teilzuhaben, und der Dienst der Bischöfe, uns zu einem je reineren und kraftvolleren Gehorsam zu führen, ist unersetzlich. Es gibt keinen andern Weg zum Heil als dem Wort Gottes zuzuhören und es mit unserem ganzen Sein in die Tat umzusetzen. Wir wissen, daß wir dann, wenn wir die Wahrheit aussprechen und die Wahrheit leben, die da ist Christus, der Herr des Himmels und der Erde, eine Kultur des Lebens in unserer Welt fördern, eine Kultur, in der das Gemeinwohl für alle sichergestellt und gewährleistet ist, ohne  Einschränkung oder Ausnahme.

Der Hebräerbrief, der uns in besonderer Art und Weise den „Gehorsam des Glaubens“ lehrt, erinnert uns daran, daß unser Herr selbst „durch Leiden den Gehorsam lernte“ und ebenso für uns alle zum Urheber des ewigen Lebens, des ewigen Heils geworden ist. Wir bitten um den Gehorsam Christi jedesmal, wenn wir das Vaterunser beten, in dem die Worte stehen, die uns der Herr selbst lehrte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ Der Katechismus der Katholischen Kirche versichert uns in seinem Kommentar zu dieser Bitte des Herrengebets, daß wir, inspiriert durch das Gebet, durch Christi Gebet in uns, in der Lage sind zu tun, wozu wir aus uns heraus unfähig sind, wozu wir jedoch fähig sind dann, wenn wir in Christus sind, aufgrund des Heiligen Geists, der aus Seinem durchbohrten glorreichen Herzen ausströmt:

„Jesus hat ‚obwohl er der Sohn war … durch Leiden den Gehorsam gelernt‘ (Hebr 5,8). Wieviel mehr gilt das für uns Geschöpfe und Sünder, die wir in Jesus an Kindes Statt angenommen wurden? Wir bitten unseren Vater, unseren Willen mit dem seines Sohnes zu vereinen, damit wir seinen Willen, den Ratschluß des Heiles für das Leben der Welt, erfüllen. Aus uns selbst sind wir dazu völlig unfähig, aber mit Jesus vereint und mit der Kraft seines Heiligen Geistes können wir dem Vater unseren Willen übergeben und uns zu dem entschließen, wozu sich der Sohn stets entschieden hat: Das zu tun, was dem Vater gefällt“ (KKK,  2825).

Vertrauen wir uns selbst und unsere Welt den Gebeten der Muttergottes an. Durch ihre ununterbrochene mütterliche Fürsorge wird sie nicht fehlgehen, uns und unsere Welt zur Wahrheit zu bringen, zu ihrem göttlichen Sohn, unserem Herrn Jesus Christus. Zum Schluß mache ich mir das Gebet zu eigen, mit dem Papst Benedikt seine Enzyklika Caritas in veritate abschloß:

„Die Jungfrau Maria, die von Papst Paul VI. zur Mater Ecclesiae erklärt wurde und vom christlichen Volk als Speculum iustitiae und Regina pacis verehrt wird, beschütze uns und erhalte uns durch ihre himmlische Fürsprache die Kraft, die Hoffnung und die Freude, die wir brauchen, um uns weiterhin großzügig der Verpflichtung zu widmen, »die Entwicklung des ganzen Menschen und aller Menschen« zu verwirklichen“ (Caritas in veritate, 79).

+ Raymond Leo Burke
Erzbischof em. von Saint Louis
Präfekt der Apostolischen Signatur;
am 20. November 2010 in den Kardinalsrang erhoben

(hli.at) „Das Künden der Wahrheit zu unterlassen, ist nie ein Zeichen brüderlicher Liebe.“ – John Smeaton, Vorsitzender der weltweit ältesten Pro-Life-Organisation SPUC (Society for the Protection of Unborn Children) stellt die Rede des am 20. November 2010 in den Kardinalsrang erhobenen Erzbischofs Raymond L. Burkes, gehalten im Oktober diesen Jahres beim V. Internationalen Welt-Gebets-Kongreß für das Leben in Rom, in eine Reihe mit solchen Grundsatzdokumenten wie Humanae vitae und Evangelium vitae. – HLI-Österreich veröffentlicht den Vortrag Seiner Eminenz in eigener Übersetzung im Wortlaut.  Katholische Orthodoxie –
Das Gegenmittel zur Kultur des Todes


Vortrag, gehalten beim V. Internationalen Welt-Gebets-Kongreß für das Leben
im ISTITUTO PATRISTICO «AUGUSTINIANUM», Rom, 9. Oktober 2010

von Erzbischof em. Raymond Leo Burke


Einleitung

Es ist klar, daß wir gegenwärtig in einem Zeitabschnitt leben, in dem wir den heftigen und entscheidenden Kampf im Voranschreiten einer Kultur des Lebens weltweit erfahren. Viele Regierungen und internationale Organisationen verfolgen offen und aggressiv eine säkulare Agenda, die gegen das Leben und gegen die Familie gerichtet ist. Selbst wenn religiöse Formulierungen benutzt werden und der Name Gottes beschworen wird, werden den Menschen Programme und politische Richtlinien ohne jede Achtung vor Gott und dessen Gesetz vorgeschlagen, in den Worten des verehrungswürdigen Papstes Johannes Paul II.: „als wenn es Gott nicht gäbe“ (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici, Über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt, 30. Dezember 1988, 34).

Heute mehr denn je hat die Welt das in Schrift und Tradition zum Ausdruck gebrachte konsistente Zeugnis der Wahrheit nötig, welches die Möglichkeitsbedingung einer Kultur ist, die das Geschenk des Lebens und dessen Ursprung in der Zeugung vollauf achtet, d.h. das Zusammenwirken von Mann und Frau mit dem Schöpfer in der ehelichen Vereinigung sowie in der häuslichen, durch die Ehe grundgelegten Erziehung.

In seiner Enzyklika Caritas in veritate (Über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit, Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI.  vom 29. Juni 2009) lehrt uns Papst Benedikt XVI., daß die Entwicklung, für die Gott den Menschen erschaffen hat, durch die Errichtung der Kultur des Lebens vollendet wird:

    „Darum stellen uns die Liebe und die Wahrheit vor einen ganz neuen und     kreativen Einsatz, der freilich sehr umfangreich und komplex ist. Es geht darum,     die Vernunft     auszuweiten und sie fähig zu machen, diese eindrucksvollen neuen     Dynamiken zu erkennen und auszurichten, indem man sie im Sinn jener »Kultur     der Liebe« beseelt, deren Samen Gott in jedes Volk und in jede Kultur gelegt     hat“ (Caritas in veritate, 33).

Unsere unermüdliche Förderung der Kultur des Lebens, im Einklang mit der vom Lehramt der Kirche verkündeten Wahrheit, antwortet in der Tat auf die tiefste Sehnsucht eines jeden Menschen und einer jeden Gesellschaft. Sie antizipiert und bereitet vor „den neuen Himmel und die neue Erde“ (Offb 21,1), die unser Herr Jesus Christus bei Seinem endgültigen Kommen errichten wird.
 

Fundamentale Voraussetzungen

Eine erste fundamentale Voraussetzung meiner Darlegung besteht in der Wahrheit, daß der Kampf gegen die totale Säkularisation, welche sich per definitionem gegen das menschliche Leben und die Familie richtet, voller Hoffnung ist. Er ist beileibe nicht vergeblich, d.h. zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Die fundamentale Voraussetzung ist der Sieg des Lebens, den unser Herr Jesus Christus bereits errungen hat. 

Christus belebt die Kirche zur rechten Zeit mit der Gnade Seines Sieges über Sünde und Tod, bis zur Vollendung des Sieges, der bei Seinem letzten Kommen erreicht sein wird, im himmlischen Jerusalem. Trotz der schwerwiegenden Situation in unserer Welt, wo unschuldiges und wehrloses Leben angegriffen und die Integrität der Ehe als der Vereinigung eines Mannes und einer Frau in einem Bund lebenslanger, treuer und  zeugender Liebe attackiert wird, bleibt weiterhin eine starke Stimme, die unsere kleinsten und  verwundbarsten Brüder und Schwestern ohne Einschränkung oder Ausnahme verteidigt, ebenso wie die Wahrheit über die eheliche Vereinigung, so wie sie Gott in der Schöpfung grundlegte. Die christliche Stimme, die Stimme Christi, übermittelt durch die Apostel, bleibt kaftvoll in unserer Welt. Die Stimme der Männer und Frauen guten Willens, die das Gesetz Gottes, das in ihr Herz eingeschrieben ist, erkennen und ihm gehorchen, bleibt kraftvoll in unserer Welt.

Während wir in einer total säkularisierten Kultur leben, müssen wir unsere Augen öffnen um wahrzunehmen, daß viele den menschlichen Bankrott unserer Kultur erkennen und hoffnungsvoll Ausschau halten nach der Kirche,  um aufs Neue mit Begeisterung und Festigkeit die gottesfürchtigen und christlichen Grundlagen jeder menschlichen Gesellschaft einzufordern. Gott hat uns erschaffen, um das Leben zu wählen; der menschgewordene Sohn Gottes hat den Sieg des Lebens für uns gewonnen, den Sieg über die Sünde und den immerwährenden Tod (vgl. Dt 30,19; Joh 10,10). Darum dürfen wir nie in dem Kampf aufgeben, eine Kultur zu etablieren, die auf der Wahl des Lebens gründet, welche Gott in unser Herz eingeschrieben hat, und auf dem Sieg des Lebens, den Christus in unserer menschlichen Natur gewonnen hat. Tatsächlich werden wir täglich Zeuge, wie gottesfürchtige Brüder und Schwestern sich engagieren, auf daß die Angelegenheit des Lebens und der Familie in ihrem Zuhause, in ihren Gemeinwesen, in ihren Heimatländern und in der Welt voranschreitet.

Eine zweite fundamentale Voraussetzung meiner Darlegung ist die wesentliche Beziehung, die zwischen der Achtung des menschlichen Lebens und der Achtung hinsichtlich der Integrität von Ehe und Familie besteht. Der Anschlag auf das unschuldige und wehrlose Leben der Ungeborenen hat seinen Ursprung in einem irrigen Blick auf die menschliche Sexualität, der durch mechanische oder chemische Mittel die wesentlich prokreative Natur des ehelichen Aktes zu eliminieren sucht. Der Irrtum behauptet, daß der künstlich abgeänderte eheliche Akt weiterhin seine Integrität behält. Der behauptete Anspruch geht dahin, daß der Akt vereinigend und liebend sei, auch wenn die prokreative Natur des Aktes radikal verletzt wurde. Tatsächlich ist der Akt nicht vereinigend, da einer oder beide Partner einen wesentlichen Anteil der Hingabe, welche die Mitte des ehelichen Aktes ausmacht, zurückbehält. Die sogenannte kontrazeptive Mentalität ist im Kern gegen das Leben gerichtet. Viele Arten der sogenannten Verhütung sind tatsächlich abtreibend, d.h. sie zerstören am Beginn ein Leben, das bereits empfangen worden ist.

Die Manipulation des ehelichen Aktes hat, wie der Diener Gottes Papst Paul VI. prophetisch beobachtete, zu vielen Formen der Gewaltausübung hinsichtlich der Ehe und des familiären Leben geführt (vgl. Papst Paul VI., Humanae vitae, Über die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens, 25. Juli 1968, 7). Durch die Ausbreitung der Verhütungsmentalität, zumal unter den jungen Menschen, wird die menschliche Sexualität nicht länger als das Geschenk Gottes betrachtet, welches Mann und Frau in einem lebenslangen und treuen Band der Liebe zusammenführt, das durch das Geschenk neuen menschlichen Lebens gekrönt wird, sondern vielmehr als ein Mittel persönlicher Selbstbefriedigung. Wird jedoch die sexuelle Vereinigung nicht länger wahrgenommen als das, was sie von ihrer eigentlichen Natur her ist, nämlich zeugend, dann wird die menschliche Sexualität mißbraucht auf Arten, die zutiefst verletzend sind und in der Tat destruktiv für Einzelne wir für die Gesellschaft selbst. Man muß lediglich an die Verwüstung denken, die unserer Welt täglich durch die millionenschwere Dollarindustrie der Pornographie zugefügt wird. Für das Voranbringen der Kultur des Lebens ist die Verkündigung über die Wahrheit des ehelichen Aktes in seiner ganzen Fülle wesentlich sowie die Korrektur des Verhütungsdenkens, welches das Leben fürchtet und den Zeugungsakt fürchtet.

Es ist aufschlußreich zu bemerken, daß Papst Benedikt XVI. in seiner Sozialenzyklika Caritas in veritate besonders auf die Enzyklika Humanae vitae von Papst Paul VI. Bezug nimmt, indem er deren Bedeutung unterstreicht, „um den vollkommen menschlichen Gehalt der von der Kirche vorgeschlagenen Entwicklung zu beschreiben“ (Caritas in veritate, 15). Papst Benedikt XVI. macht deutlich, daß die Lehre von Humanae vitae nicht „eine bloß individuelle Moral“ war, indem er erklärt:

    „Humanae vitae zeigt die starken Verbindungen auf, die zwischen der Ethik des     Lebens und    der Sozialethik bestehen, und hat damit eine lehramtliche     Thematik eröffnet, die nach und    nach in verschiedenen Dokumenten Gestalt     gewonnen    hat, zuletzt in der Enzyklika Evangelium vitae Papst Johannes    Pauls II.“ (Caritas in veritate, 15).

Der Heilige Vater erinnert uns daran, welch wesentlichen Anteil das rechte Verständnis unserer Sexualität in einer wahrhaft menschlichen Entwicklung hat.

Indem er die ganze Frage der Fortpflanzung behandelt, unterstreicht er die entscheidende Natur des rechten Verständnisses von menschlicher Sexualität, Ehe und Familie. Er erklärt:

    „Die Kirche, der die wahre Entwicklung des Menschen am Herzen liegt,    empfiehlt ihm die umfassende Achtung menschlicher Werte, und dies gilt auch     für den Umgang mit der Sexualität: Man kann sie nicht auf eine lediglich    hedonistische und spielerische Handlung reduzieren, so wie man die    Sexualerziehung nicht auf eine technische Anleitung reduzieren kann, deren    einzige Sorge es ist, die Betroffenen vor eventuellen Ansteckungen oder vor    dem »Risiko« der Fortpflanzung zu schützen. Das würde einer Verarmung und    Mißachtung der tiefen Bedeutung der Sexualität gleichkommen, die jedoch    sowohl von der einzelnen Person wie von der Gemeinschaft anerkannt und    verantwortungsvoll angenommen werden soll“ (Caritas in veritate, 44).

Die Achtung vor der Integrität des ehelichen Aktes ist wesentlich für die Förderung der Kultur des Lebens. In den Woirten Papst Benedikts XVI. ist es notwendig, „den jungen Generationen wieder die Schönheit der Familie und der Ehe vor Augen zu stellen sowie die Übereinstimmung dieser Einrichtungen mit den tiefsten Bedürfnissen des Herzens und der Würde des Menschen“ (Caritas in veritate, 44).

Dementsprechend bemerkt der Papst, daß

    „die Staaten dazu aufgerufen (sind), politische Maßnahmen zu treffen, die die    zentrale Stellung und die Unversehrtheit der auf die Ehe zwischen einem    Mann und einer Frau gegründeten Familie, der Grund- und Lebenszelle der    Gesellschaft, dadurch fördern, indem sie sich auch um deren     wirtschaftliche    und finanzielle Probleme in Achtung vor ihrem auf  Beziehung beruhenden    Wesen kümmern“ (Caritas in veritate, 44).


Das Lehramt und die Förderung der Kultur des Lebens

Die Verbindung des Lehramtes zu unserem ewigen Heil liegt allein schon im Ursprung unseres Lebens in Christus. In einer Welt, die vor allem anderen den Individualismus und die Selbstbestimmung hochhält, ist der Christ leichthin versucht, das Lehramt in Verbindung mit seinem Individualismus und seinem Streben nach Selbstverwirlichung zu sehen. Mit anderen Worten: er ist versucht, die Autorität des Lehramtes zu relativieren. Dieses Phänomen ist heutzutage allgemein bekannt als „Cafeteria-Katholizismus“.

Der Dienst des Bischofs, des treuen Hirtens seiner Herde, ist wesentlich und in der Tat unersetzbar. Der verehrungswürdige Papst Johannes Paul II. hat in seinem  nachsynodalen apostolischen Schreiben Pastores gregis zum Thema „Der Bischof – Diener des Evangeliums Jesu Christi für die Hoffnung der Welt“, welches am 25. Jahrestag seiner Wahl auf den Stuhl Petri, am 16. Oktober 2003, promulgiert wurde, den Ritus der Bischofsweihe in Erinnerung gerufen, zumal wenn das Evangeliar während des Weihegebetes, das die Form des Sakramentes enthält, „über das Haupt des Erwählten“ gehalten wird, und bemerkt:

    „Damit soll einerseits zum Ausdruck gebracht werden, daß das Wort den    Dienst des Bischofs umfängt und behütet, und andererseits, daß das    Leben des Bischofs ganz dem Wort Gottes unterworfen sein muß in der    täglichen Hingabe an die Verkündigung des Evangeliums in geduldiger    Belehrung (vgl. 2 Tim 4)“ (Pastoris gregis, 28).

An einer früheren Stelle dieses Apostolischen Schreibens betont der Papst, „daß der Verkündigung Christi stets der erste Platz zukommt und daß der Bischof durch sein Wort und durch das Zeugnis seines Lebens der erste Verkünder des Evangeliums ist.“ Daraufhin ermahnt er die Bischöfe, „sich der Herausforderungen bewußt (zu) sein, die die gegenwärtige Stunde mit sich bringt, und den Mut (zu) haben, sich diesen zu stellen“ (Pastores gregis, 26).

Der gesamte Inhalt unseres Glaubens – das, was der heilige Paulus im Ersten und Zweiten Brief an Timotheus das depositum fidei (das Glaubensgut) nennt – ist begründet in der Heiligen Schrift und in der Tradition (1 Tim 6,20 und 2 Tim 1, 12-14). Der Glaube in seiner Gesamtheit wurde der Kirche Christi anvertraut durch den Dienst der Apostel. Das depositum fidei ist die Lehre der Apostel und das Leben dieser Lehre im Gebetsleben und im sakramentalen Leben, sowie das Bezeugen der Lehre im sittlichen Leben. Die Grundlage ist die gesunde Lehre, die ihren höchsten Ausdruck in den Sakramenten findet, vor allem in der Eucharistie, und die bezeugt wird im heilgmäßigen Leben des Gläubigen (vgl. Katechesmus der Katholischen Kirche, 84).

Die Verantwortung für das depositum fidei, das Glaubensgut, wie für dessen Weitergabe in jeder Zeit „ist nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung, Dei verbum, 18. November 1965, 10). „Das lebendige Lehramt“ oder das Magisterium der Kirche, ausgeübt vom Bischof von Rom und den Bischöfen in Einheit mit ihm, hat seine Vollmacht von unserem Herrn Jesus Christus. Christus hat den Aposteln, mit Petrus an deren Spitze, und ihren Nachfolgern, den Bischöfen, mit dem Nachfolger des Petrus an deren Spitze, die Vollmacht übertragen, die Lehre authentisch auszulegen (vgl. KKK, 85).

Der Bischof von Rom und die Bischöfe sind Diener Christi und Seines heilgen Wortes. Das Lehramt „lehrt nichts, als was überliefert ist, weil es das Wort Gottes aus göttlichem Auftrag und mit dem Beistand des Heiligen Geistes voll Ehrfurcht hört, heilig bewahrt und treu auslegt“ (Dei verbum, 10). Der Bischof von Rom und die Bischöfe in Einheit mit ihm lehren nur das, was als göttlich geoffenbarte Wahrheit im depositum fidei enthalten ist (vgl. KKK, 86).

Das Lehramt legt im Gehorsam gegenüber Christus und durch die von der besonderen Gnade des Heiligen Geistes verliehenen Kraft das Wort Gottes, welches in den heiligen Schriften und der Überlieferung enthalten ist, aus, und zwar hinsichtlich des Glaubens und der Sitten. Der römische Pontifex und die Bischöfe in Einheit mit ihm definieren die Glaubensdogmen, d.h. die Wahrheiten, die im depositum fidei enthalten sind, und Wahrheiten, „die mit diesen in einem notwendigen Zusammenhang stehen“ (KKK, 88).

Was die Sittenlehre betrifft, legt das Lehramt in Treue den Dekalog vor und die Erfordernis eines Lebens der Tugenden. Das Lehramt würde in seiner gottgegebenen Sendung versagen, wenn es die lebendige Tradition nicht auf die Umstände des täglichen Lebens in Christus anwenden würde. Der verehrungswürdige Papst Johannes Paul II. hielt mit folgenden Worten die Bischöfe an, das Magisterium hinsichtlich des sittlichen Lebens auszuüben:
   
    „Die von der Kirche aufgestellten Vorschriften spiegeln die göttlichen Gebote     wider, die ihre Zusammenfassung und ihre Krönung im Liebesgebot des     Evangeliums finden. Das Ziel, das jede göttliche Vorschrift anstrebt, ist das     höchste Wohl des Menschen. (…)  Man darf zudem nicht vergessen, daß die     Zehn Gebote fest in der menschlichen Natur selbst verwurzelt sind und daß     darum die Werte, die sie verteidigen, universale Gültigkeit besitzen. Das gilt     besonders für das menschliche Leben, das von seiner Empfängnis bis zu     seinem Ende durch den natürlichen Tod verteidigt werden muß, die Freiheit     der Menschen und Völker, die soziale Gerechtigkeit und die Strukturen zu     deren Durchsetzung“ (Pastores gregis, 29).

In einer Kultur, die – wie es unser Heiliger Vater in seiner Predigt am Beginn des Konklaves, in welchem er zum Nachfolger Petri gewählt wurde, nannte – von der „Diktatur des Relativismus“ befallen ist, trägt der Bischof als der hauptsächliche Lehrer  in Glaubens- und Sittenfragen in seiner Diözese eine besonders schwere und bleibende Bürde im Vorlegen der gesunden Lehre, welche das Wohl aller Gläubigen gewährleistet, vor allem jener, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu schützen oder zu verteidigen (zur „Diktatur des Relativismus“, s. „Initium Conclavis“, Acta Apostolicae Sedis, 97 (2005), 687).

Die Katechese ist höchste fundamentale Verantwortung, die der Bischof im Namen des Wohls aller seiner Obhut anvertrauten Gläubigen ausübt, letztlich im Hinblick auf ihr ewiges Heil. Johannes Paul II. erinnerte die Bischöfe daran, daß sie ihre Verantwortung durch das Kerygma erfüllen, die Erstverkündigung, „die immer notwendig ist, um den Glaubensgehorsam zu wecken, die sich aber gerade in der von religiöser Gleichgültigkeit und Unwissenheit so vieler Christen gekennzeichneten Situation der heutigen Zeit als noch dringender erweist“ (Pastores gregis, 29). Vereint mit dem kerygma ist die Katechese derjenigen, die sich den Glauben angeeignet haben und sich um Glaubensgehorsam bemühen. Papst Johannes Paul II. erklärte: „Deshalb ist es Pflicht jedes Bischofs, in seiner Teilkirche die effektive Priorität einer aktiven und wirksamen Katechese zu gewährleisten. Ja, er muß selber seine Sorge um die Katechese durch direktes Eingreifen wahrnehmen, das darauf abzielt, eine echte Liebe für die Katechese zu wecken und zu pflegen“ (Pastores gregis, 29).

Johannes Paul II. erinnert in der soeben zitierten Exhortatio die Bischöfe gleichfalls daran, daß das Lehramt die Vorschriften des natürlichen Sittengesetzes, die Gott dem Menschen ins Herz hinein geschrieben hat, enthält sowie die entsprechenden Erfordernisse im Verhalten, die der menschlichen Natur selbst inhärent sind und zur Ordnung der Welt, Gottes Schöpfung, gehören. Der Gehorsam gegenüber den Forderungen des natürlichen Sittengesetzes ist heilsnotwendig, darum fällt die Lehre des natürlichen Sittengesetzes in den Bereich der Vollmacht des Lehramtes und ist Teil von dessen erhabener Verantwortung: „Wenn das Lehramt der Kirche die Vorschriften des sittlichen Naturgesetzes in Erinnerung ruft, übt es einen wesentlichen Teil seiner prophetischen Aufgabe aus, den Menschen zu verkünden, was sie in Wirklichkeit sind, und sie daran zu erinnern, was sie vor Gott sein sollen“ (KKK, 2036). Wenn Bischöfe und Gläubige sich selbst mit Geist und Herz gehorsam den Antrieben des Heiligen Geistes unterwerfen, dann leuchtet die ewiggültige Wahrheit kraftvoll in der gesamten Kirche auf und erbaut den Leib Christi und bewirkt die Wandlung der Welt.

Die Antwort beider, des Bischofs und der Gläubigen, auf die Ausübung der Lehrautorität Christi ist Gehorsam, da sie in den verkündeten, den Glauben und die Sitten betreffenden Wahrheiten die unfehlbare Leitung zu ihrem Heil in Christus finden, der zu Seinen Aposteln sagte: „Wer euch hört, der hört Mich“ (Lk 10, 16). Die Worte unseres Herrn sind unmißverständlich in ihrer Bedeutung für uns.

Gehorsam dem Lehramt gegenüber ist eine Tugend, die man erwirbt, indem man diesen Gehorsam praktiziert. Wenn die Hirten der Herde dem Lehramt, dessen Ausübung ihnen obliegt, gehorsam sind, dann wachsen die Mitglieder der Herde im Gehorsam und schreiten mit Christus voran auf dem Weg des Heils. Wenn der Hirte nicht gehorsam ist, dann gibt die Herde leichthin der Verwirrung und dem Irrtum nach. Der Hirte muß zumal aufmerksam sein auf die Anschläge Satans, der weiß, daß dann, wenn er den Hirten niederschlagen kann, es ein Leichtes ist, die Herde zu zerstreuen (vgl. Sach 13,7).

In seiner Enzyklika Fides et ratio (Über das Verhältnis von Glaube und Vernunft) gemahnte uns der verehrungswürdige Papst Johannes Paul II. daran, daß das Magisterium strengstens an die Heilige Überlieferung und an die Heilige Schrift gebunden ist, während zur gleichen Zeit Heilige Überlieferung und Heilige Schrift von einer Generation in die nächste weitergereicht werden durch den Gehorsam dem Magisterium gegenüber. Papst Johannes Paul II. erklärte:

    „Die ‚höchste Richtschnur ihres Glaubens‘ kommt ihr aus der Einheit zwischen     der Heiligen Überlieferung, der Heiligen Schrift und dem Lehramt der Kirche     zu, die der Heilige Geist so geknüpft hat, daß keine der drei ohne die anderen     bestehen kann“ (Fides et ratio, 55).

Der Glaube ist ein lebendiger. Der Glaube wird empfangen durch das Wirken des Heiligen Geistes, der in der Seele wohnt, und dieses findet seinen Ausdruck in der reinigenden und stärkenden Kraft der Handlungen des Heiligen Geistes, der den Menschen drängt, seinen Glauben in die Tat umzusetzen.

Der Glaubensgehorsam besteht darin, Geist und Herz so zu bereiten, daß man all das, was Gott uns offenbart hat, gläubig annimmt, und all das tut, worum Er uns bittet. Der Glaubensgehorsam ist die angemessene Antwort auf die Offenbarung Gottes, die ihre Erfüllung in unserem Herrn Jesus Christus hat (vgl. Hebr 11,8). Gehorsam dem Lehramt gegenüber als dem Wächter und Lehrer des Glaubens ist die fundamentale Disposition des getauften und gefirmten Katholiken (vgl. KKK, 142, 143).

Die Selige Jungfrau Maria lebte den Glaubensgehorsam vollkommen. Anläßlich des Besuchs Marias bei ihrer Kusine Elisabeth, beschrieb diese Marias Identität als Mutter des Erlösers mit den Worten: „Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1, 45). Marias Antwort auf die Ankündigung des Erzengels Gabriel drückte vollkommen die Verfügbarkeit des allumfassenden Gehorsams aus, welcher ihre Seele prägte: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast” (Lk 1, 38). Marias Antwort ist das Vorbild für unsere tägliche Antwort auf Gottes Willen in unserem Leben, den das Magisterium der Kirche uns lehrt. Die letzten, im Evangelium überlieferten Worte der Muttergottes sind die Summe ihrer mütterlichen Wegweiseung für uns. Als die Diener, die sich um den Wein kümmerten, bei der Hochzeit zu Kana zu ihr kamen und um Hilfe baten, wies sie sie an Gottes Sohn, ihren Sohn, mit dem Rat: „Was Er euch sagt, das tut!” (Joh 2,5). Indem sie ihrem mütterlichen Rat gehorchten, wurden die Diener die Zeugen des ersten Wunders Jesu in seinem öffentlichen Wirken.

Glaube ist zuallererst „persönliche Bindung des Menschen an Gott” (KKK, 150). Wenn wir all dem, was Gott uns offenbart hat, gläubig zustimmen, dann setzen wir unser ganzes Vertrauen in Ihn, in Seine Vorsehung. Solch ein Vertrauen kann allein in Gott gesetzt werden. Glauben an Gott, den Vater, und vollkommenes Vertrauen in Seine Verheißungen ist klarerweise Glauben an Jesus Christus, Seinen eingeborenen Sohn, und an den Heiligen Geist, der stets bei uns bleibt in der Kirche (vgl. KKK, 151,152). Unser Herr Jesus Christus macht uns eins mit Ihm, indem wir all das tun, um was uns der Vater bittet durch die Ausgießung der siebenfachen Gabe des Heilung Geistes in unsere Seelen: die Gnade des Heiligen Geistes versetzt uns in die Lage, Gottes Wille zu erkennen und ihn mutig auszuführen. Die siebenfache Gabe des Heiligen Geistes schafft in unseren Seelen eine siebenfache Disposition, die man als den Glaubensgehorsam beschreiben kann.

Das sittliche Leben fließt aus unserem Glauben an Gott. Es ist der „Glaubensgehorsam” in Aktion. Die erste Tafel der Zehn Gebote regelt unsere rechte Beziehung zu Gott, die unsere rechte Beziehung zu den anderen und zur Welt ermöglicht, welche von der zweiten Tafel geregelt wird. Wenn wir uns sittlich verfehlen, dann verfehlen wir uns auch im Glauben (vgl. KKK, 2087, 2088). Ich erinnere oftmals an die Worte eines weisen Lehrer des kanonischen Rechts, der mich die kirchliche Disziplin hinsichtlich der Kleriker lehrte. Mehr als einmal erzählte er der Unterrichtsklasse: „Dort, wo es Probleme mit der Keuschheit gibt, dort gibt es Probleme mit dem Gehorsam.” Unsere Rebellion gegen die sittliche Wahrheit ist eine Rebellion gegen Gott und all das, was Er uns lehrt.


Herausforderungen im Gehorsam gegenüber dem Lehramt

Gehorsam dem Lehramt gegenüber ist für den Menschen in jedem Zeitlater  schwierig. Die Praxis des “Glaubensgehorsams” ist schwer zu meistern. Die Schwierigkeit kommt sowohl aus unserem Inneren wie von außen. Wir leiden an der Sünde unserer Stammeltern, die im Grunde eine Sünde stolzen Ungehorsams und einer Rebellion gegen Gottes Willen war. Die Gnade des Heiligen Geistes, die durch die Taufe in unsere Seelen gegossen, durch die Firmung in unseren Seelen gestärkt und zum Wachsen gebracht und durch die heilige Eucharistie in unseren Seelen genährt wird – sie allein hilft uns, unsere angeborene Neigung zur Rebellion und zum Ungehorsam in Griff zu bekommen.

Außerhalb unser schlägt uns Satan unablässig die gleiche Versuchung vor, die er unseren Stammeltern vorschlug, die Versuchung so zu handeln, als ob Gott nicht existierte, zu handeln so, als seien wir Götter. Die Welt um uns, die Kultur, in der wir leben, ist – bis hin zu der Stufe, daß sie Satans Täuschung erlegen ist – eine Quelle starker Versuchung für uns. Tatsächlich wurde unsere Kultur als „gottlos” beschrieben, sowohl vom verehrungswürdigen Papst Johannes Paul II. wie auch von Papst Benedikt XVI. Unsere Kultur lehrt uns so zu handeln, als ob Gott nicht existierte. Zur selben Zeit lehrt sie uns radikalen Individualismus und Eigennutz, die uns von der Gottesliebe und der Nächstenliebe wegführen.

Oftmals ist der Mangel an Gehorsam dem Lehramt gegenüber nicht vollständig, sondern auswahlweise. Unsere Kultur lehrt uns zu glauben, was paßt, und zurückzuweisen, was uns schwerfällt oder uns herausfordert. Derart können wir leichthin in einen „Cafeteria-Katholizismus” verfallen, eine Glaubenspraxis, die aus dem depositum fidei, dem Glaubensgut, herauspickt und auswählt, was zu glauben und in die Tat umzusetzen ist. Ein äußerst tragisches Beispiel für den Mangel an Glaubensgehorsam, auch was manche Bischöfe betrifft, war die Antwort Vieler auf die Enzyklika Humanae vitae von Papst Paul VI., die am 25. Juli 1968 veröffentlicht wurde. Die daraus resultierende Verwirrung verführte viele Katholiken zu einem sündigen Lebenswandel, was die Weitergabe und die Erziehung menschlichen Lebens betrifft.

Der Mangel an vollständigem Gehorsam gegenüber dem Lehramt zeigt sich gleichfalls in der Heuchelei von Katholiken, die vorgeben, ihren Glauben zu leben, die sich jedoch weigern, die Wahrheit des Glaubens in den politischen, medizinischen, geschäftlichen oder den anderen menschlichen Unternehmungen in die Praxis umzusetzen. Diese Katholiken geben vor, sich „persönlich” an die Wahrheit des Glaubens zu halten, etwa was die Unverletzbarkeit des unschuldigen und wehrlosen menschlichen Lebens betrifft, im politischen Bereich jedoch oder in der medizinischen Praxis sind sie mitbeteiligt am Anschlag auf unsere ungeborenen Brüder und Schwestern oder auf unsere Brüder und Schwestern, die unter der Last der Jahre durch Krankheit oder andere besondere Nöte gebrechlich geworden sind. Ihr Ungehorsam bezieht sich nicht auf irgendeine Sonderwahrheit im Leben der Kirche, d.h. nicht auf irgendeine Beichtmaterie, sondern ist Ungehorsam gegenüber der Wahrheit des göttlichen Sittengesetzes, das in jedes menschliche Herz eingeschrieben und darum von allen zu befolgen ist.

Der Glaubensgehorsam verpflichtet uns in jeder Lebenssituation, auch in den Situationen, in denen es sehr schwerfällt das zu tun, was Gott von uns verlangt. Im äußersten Fall könnte der Glaubensgehorsam das Martyrium erfordern. In seiner Enzyklika Veritatis splendor (Über einige grundlegende Fragen der kirchlichen Morallehre, vom 6. August 1993) lehrte uns der verehrungswürdige Papst Johannes Paul II., daß es keinen Kompromiß hinsichtlich des Gehorsams gegenüber der Morallehre des Lehramtes geben kann:

    „Auch in den schwierigsten Situationen muß der Mensch die sittlichen Normen     beachten, um den heiligen Geboten Gottes gehorsam und in    Übereinstimmung mit der eigenen Personenwürde zu sein. Sicherlich verlangt    die Harmonie zwischen Freiheit und Wahrheit mitunter durchaus    ungewöhnliche Opfer und wird um einen hohen Preis erlangt: er kann auch    das Martyrium einschließen” (Veritatis splendor, 102a).


Das Lehramt und das öffentliche Leben

Was das Lehramt und das öffentliche Leben betrifft, so hat sich vielerorts die falsche Ansicht entwickelt, daß ein Christ oder überhaupt ein Gläubiger sein Glaubensleben vom öffentlichen Leben abzusondern habe, um ein wahrer Staatsbürger zu sein. Folgt man dieser Ansicht, dann endet man zum Beispiel bei Christen, die persönlich für sich in Anspruch nehmen, gläubige Mitglieder der Kirche zu sein und dementsprechend die Gebote des natürlichen Sittengesetzes einzuhalten, während sie das Recht fördern und unterstützen, das Sittengesetz in seinen fundamentalsten Grundsätzen zu verletzen. Wir stoßen auf selbsternannte Katholiken, die beispielsweise das Recht der Frau, die Tötung des Kindes in ihrem Schoß durchzuführen, fördern und unterstützen, desgleichen das Recht zweier gleichgeschlechtlicher Personen auf die Anerkennung, die der Staat einem Mann und einer Frau zuerkennt, die in den Stand der Ehe eingetreten sind. Es ist nicht möglich, ein praktizierender Katholik zu sein, und sich öffentlich derart aufzuführen.

Während die Kirche die Auferlegung rein konfessioneller Praktiken der Allgemeinbevölkerung nicht vorschlägt, muß sie gleichwohl die Lehre und die Aufrechterhaltung des Sittengesetzes, das allen Menschen gemeinsam und im Herzen jeder wahren Religion verankert ist, pflegen. Welche Regierungsform würde verlangen, daß ihre Bürger und ihre politischen Führer ohne den Bezug zu den fundamentalen Erfordernissen des Sittengesetzes agierten?

Wenn auch wahre Religion das natürliche Sittengesetz lehrt, ist die Befolgung des Sittengesetzes gleichwohl keine konfessionelle Praxis. Sie ist vielmehr eine Antwort auf das, was in den Tiefen eines jeden menschlichen Herzens eingeschrieben ist. Religiöser Glaube artikuliert einfachhin das natürliche Sittengesetz und ermöglicht es den Gläubigen, bereitwilliger wahrzunehmen, was ihre eigene menschliche Natur und die Natur der Dinge von ihnen verlangt, und ihr Leben in Einklang zu bringen mit der Wahrheit des Erkannten. Darum haben in der Vergangenheit Regierungen die Bedeutung des religiösen Glaubens für das Leben einer Nation anerkannt. In der Tat haben die Gesetze vieler Nationen zum Ziel gehabt, die Lehre und die Praxis des religiösen Glaubens zum Wohle aller zu schützen.

In seiner Enzyklika Caritas in veritate erinnert uns Papst Benedikt XVI. daran:

„Die christliche Religion und die anderen Religionen können ihren Beitrag zur Entwicklung nur leisten, wenn Gott auch im öffentlichen Bereich mit spezifischem Bezug auf die kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und insbesondere politischen Aspekte Platz findet. Die Soziallehre der Kirche ist entstanden, um dieses »Statut des Bürgerrechts« der christlichen Religion geltend zu machen. Die Verweigerung des Rechts, öffentlich die eigene Religion zu bekennen und dafür tätig zu sein, daß auch das öffentliche Leben über die Wahrheiten des Glaubens unterrichtet wird, bringt negative Folgen für die wahre Entwicklung mit sich. (…) Die Vernunft bedarf stets der Reinigung durch den Glauben, und dies gilt auch für die politische Vernunft, die sich nicht für allmächtig halten darf. Die Religion bedarf ihrerseits stets der Reinigung durch die Vernunft, um ihr echtes menschliches Antlitz zu zeigen. Der Abbruch dieses Dialogs ist mit einem schwer lastenden Preis für die Entwicklung der Menschheit verbunden“ (Caritas in veritate, 56).

In der gegenwärtigen Weltsituation  hat der christliche Glaube eine entscheidende Verantwortung, um deutlich das natürliche Sittengesetz und dessen Forderungen zu artikulieren.

Unter dem kontinuierlichen Einfluß einer rationalistischen und säkularen Philosophie, die nicht länger Gott, sondern den Menschen zum Maßstab dessen macht, was gut und recht ist, wurden viele hinsichtlich der grundlegendsten Wahrheiten in Verwirrung gestürzt, so etwa über die unverletzbare Würde des unschuldigen menschlichen Lebens vom Beginn der Empfängnis bis zum Augenblick des natürlichen Todes und über die Integrität der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau als der ersten und unersetzbaren Zelle des gesellschaftlichen Lebens. Wenn Christen darin versagen, das natürliche Sittengesetz zu artikulieren und aufrechtzuerhalten, dann versagen sie in der fundamentalen Aufgabe des Patriotismus, in der Liebe zu ihrem Land, dessen Gemeinwohl sie zu dienen haben.

Papst Benedikt XVI. gemahnt uns: „Ein solches universales Sittengesetz ist die feste Grundlage eines jeden kulturellen, religiösen und politischen Dialogs und erlaubt dem vielfältigen Pluralismus der verschiedenen Kulturen, sich nicht von der gemeinsamen Suche nach dem Wahren und Guten und nach Gott zu lösen“ (Caritas in veritate, 59). Indem der Papst Bezug nimmt auf den fundamentalen Defekt unserer Gesellschaft, nämlich „eines Gewissens, das bereits unfähig ist, das Menschliche zu erkennen“, erklärt Benedikt XVI.: „Gott enthüllt dem Menschen den Menschen; die Vernunft und der Glaube arbeiten zusammen, ihm das Gute zu zeigen, wenn er es nur sehen wollte; das Naturrecht, in dem die schöpferische Vernunft aufscheint, zeigt die Größe des Menschen auf, aber auch sein Elend, wenn er den Ruf der moralischen Wahrheit nicht annimmt“ (Caritas in veritate, 75)


Das Ärgernis des Ungehorsams gegenüber dem Lehramt

Wenn wir die Verantwortung der Christen und aller Menschen guten Willens erkennen, das natürliche Sittengesetz deutlich zum Ausdruck zu bringen und aufrechtzuerhalten, dann haben wir auch das Ärgernis zu erkennen, welches dadurch gegeben ist, daß Christen im öffentlichen Leben in der Aufrechterhaltung des Sittengesetzes versagen. Wenn diejenigen, die sich als Christen bekennen, zur gleichen Zeit eine Politik und Gesetze begünstigen und bewerben, welche die Zerstörung von unschuldigem, wehrlosem menschlichen Leben mit sich bringen und welche die Integrität von Ehe und Familie verletzen, dann werden die Bürger verwirrt und in die Irre geführt hinsichtlich der Grundlagen des Sittengesetzes.

In unserer Zeit hat man große Bedenken, über Ärgernisse zu sprechen, so als sei das Ärgernis irgendwie nur ein Phänomen, das Leute mit eingeschränkter oder unaufgeklärter Vernunft  beträfe, und demzufolge ein Werkzeug dieser Personen, um andere harsch und fälschlich zu verdammen. Gewiß gibt es so etwas wie ein pharisäisches Ärgernis, d.h. eine böswillige Interpretation von moralisch guten oder zumindest moralisch indifferenten Handlungen anderer. Der Begriff rührt vom vermeintlichen Ärgernis her, welches Jesus bei den Pharisäern anläßlich der Heilung des Blindgeborenen auslöste (vgl. Joh 9,13-34).

Doch es gibt auch das echte Ärgernis, nämlich das Ärgernis, das wir geben, wenn wir durch unsere Worte, Taten und Unterlassungen andere zu Verwirrung und Irrtum verführen und folglich zur Sünde verleiten. Unser Herr war unzweideutig in der Verurteilung jener, die aufgrund ihrer Handlungen oder Unterlassungen andere verwirren oder zur Sünde verleiten. Als Er seine Jünger über die Verführungen belehrte, erklärte Er: „Es ist unvermeidlich, daß Verführungen kommen. Aber wehe dem, der sie verschuldet. Es wäre besser für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als daß er einen von diesen Kleinen zum Bösen verführt“ (Lk 17,1-2).

Es ist klar, daß unser Herr die Vermeidung von Ärgernissen, zumal von jeder Handlung oder Unterlassung, welche andere zur Sünde verleiten könnte, als eine vorrangige Verantwortung mit den ernstesten Folgen erachtete. Die Worte Jesu sind diesbezüglich nichts weniger als heftig.

Die Tatsache zu ignorieren, daß Katholiken im öffentlichen Leben, die beharrlich das Sittengesetz hinsichtlich der Unverletzbarkeit des unschuldigen menschlichen Lebens oder der Integrität der ehelichen Gemeinschaft verletzen, viele in Verwirrung stürzen oder in irrige Auffassungen über die grundlegendsten Lehren des Sittengesetzes, trägt faktisch zur Verwirrung und zum Irrtum bei, welche unsere Brüder und Schwestern schwerst schädigen und damit die ganze Nation schädigen. Die beständige Disziplin der Kirche hat unter anderem aus diesem Grund untersagt, daß die Heilige Kommunion oder ein kirchliches Begräbnis denjenigen gewährt wird, die trotz Ermahnung darauf beharren, das Sittengesetz weiterhin schwer zu schädigen (vgl. CIC, cann. 915; 1184, §1,31).

Es wurde gesagt, daß diese disziplinarischen Maßnahmen, denen die Kirche die Jahrhunderte hindurch beständig treu geblieben ist, sich anmaßen, ein Urteil über das ewige Heil der Seelen abzugeben, ein solches Urteil stünde jedoch allein Gott zu, darum sollten jene aufgegeben werden. Dem entgegen sind freilich diese disziplinarischen Maßnahmen kein Urteil über das ewige Seelenheil der betreffenden Person. Sie sind schlicht und einfach die Anerkennung einer objektiven Wahrheit, der Tatsache nämlich, daß die öffentlichen Handlungen der Seele eine schwerwiegende Verletzung des Sittengesetzes darstellen, und dies zum eigenen schweren Schaden und zum schweren Schaden anderer, die durch diese Handlungen verwirrt oder in die Irre geführt werden. Die Kirche vertraut jede Seele der Barmherzigkeit Gottes an, die bei weitem unsere Vorstellungskraft überschreitet; dies ist jedoch keine Entschuldigung für sie, die Wahrheit des Sittengesetzes nicht zu verkünden, und zwar auch, zum Seelenheil aller, durch Anwendung ihrer altbewährten disziplinarischen Maßnahmen.

Wenn eine Person öffentlich für schwere sündhafte Handlungen eingetreten ist und daran mitgewirkt hat, derart viele in die Verwirrung und in den Irrtum führend hinsichtlich fundamentaler Fragen der Achtung des menschlichen Lebens sowie der Integrität von Ehe und Familie, dann hat ihre Reue über solche Handlungen auch öffentlich zu sein. Die betreffende Person trägt eine erhebliche Verantwortung für das schwerwiegende Ärgernis, das sie verursachte. Die Verantwortung ist vor allem erheblich bei politischen Verantwortungsträgern. Die Wiedergutmachung eines solchen Ärgernisses beginnt mit der öffentlichen Anerkennung des eigenen Irrtums und der öffentlichen Erklärung, daß er dem Sittengesetz Folge leistet. Die Seele, welche die Schwere ihrer Tat wahrnimmt, wird tatsächlich sogleich die Notwendigkeit der öffentlichen Wiedergutmachung verstehen.

Wenn es auch stimmt, daß es stets die Gefahr gab, durch öffentliche und sündhafte Handlungen oder Unterlassungen anderen zum Ärgernis zu werden, so hat sich doch diese Gefahr heutzutage erhöht. Aufgrund der im öffentlichen Diskurs anzutreffenden allgemeinen Verwirrung über das Sittengesetz, die zudem in Gesetze und richterliche Verlautbarungen Einlaß gefunden hat, ist der Christ heute, wenn es darum geht, das Sittengesetz zum Ausdruck zu bringen und aufrechtzuerhalten, zu einem gleichsam höheren Maß an Klarheit verpflichtet.

Es ist insbesondere heimtückisch, daß unsere Gesellschaft, die zutiefst verwirrt ist über die grundlegenden Güter, zugleich glaubt, daß das Ärgernis der Vergangenheit angehört. Die Handschrift des Vaters der Lüge ist zu erkennen in der Mißchtung der Situation des Ärgernisses oder in der Verhöhnung oder selbst der Rüge derjenigen, die den Ärger wahrnehmen. In seiner Lehre über das Verhältnis von „Humanökologie“ und „Umweltökologie“ unterstreicht Papst Benedikt XVI. den Widerspruch im gängigen moralischen Verständnis, der uns und insonderheit die Jugendlichen in ernstzunehmende Verwirrung und Irrtümer leitet:

„Wenn das Recht auf Leben und auf einen natürlichen Tod nicht respektiert wird, wenn Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt des Menschen auf künstlichem Weg erfolgen, wenn Embryonen für die Forschung geopfert werden, verschwindet schließlich der Begriff Humanökologie und mit ihm der Begriff der Umweltökologie aus dem allgemeinen Bewußtsein. Es ist ein Widerspruch, von den neuen Generationen die Achtung der natürlichen Umwelt zu verlangen, wenn Erziehung und Gesetze ihnen nicht helfen, sich selbst zu achten. Das Buch der Natur ist eines und unteilbar sowohl bezüglich der Umwelt wie des Lebens und der Bereiche Sexualität, Ehe, Familie, soziale Beziehungen, kurz der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen. Unsere Pflichten gegenüber der Umwelt verbinden sich mit den Pflichten, die wir gegenüber dem Menschen an sich und in Beziehung zu den anderen haben. Man kann nicht die einen Pflichten fordern und die anderen unterdrücken“ (Caritas in veritate, 51).

Eine der Ironien der gegenwärtigen Situation besteht darin, daß die Person, die das Ärgernis der schwerwiegenden sündhaften öffentlichen Handlungen eines katholischen Mitbruders  wahrnimmt, angeklagt wird, es an mitbrüderlicher Liebe fehlen zu lassen und innerhalb der Kirche für Spaltung zu sorgen. In einer Gesellschaft, deren Denken dominiert wird von der „Diktatur des Relativismus“ und in welcher politische Korrektheit und menschliche Rücksicht die ultimativen Kriterien für das sind, was zu tun und was zu unterlassen ist, macht die Vorstellung, daß man jemanden in den moralischen Irrtum führt, wenig Sinn. Was in einer solchen Gesellschaft erstaunen erregt, ist die Tatsache, daß jemand die politische Korrektheit nicht beachtet und dadurch scheinbar Spaltung in den sogenannten gesellschaftlichen Frieden bringt.

Zu lügen und das Künden der Wahrheit zu unterlassen, ist jedoch nie ein Zeichen der brüderlichen Liebe. Eine Einheit, die nicht auf der Wahrheit des Sittengesetzes gegründet ist, ist nicht die Einheit der Kirche. Die Einheit der Kirche gründet darin, die Wahrheit in Liebe auszusprechen. Diejenige Person, die bei öffentlichen Handlungen von Katholiken, die schwerwiegend gegen das Sittengesetz verstoßen, das Ärgernis wahrnimmt, zerstört nicht nur nicht die Einheit, sondern lädt die Kirche ein wiederherzustellen, was ganz offensichtlich eine ernstzunehmende Bresche in deren Leben ist. Würde sie im Falle der öffentlichen Unterstützung von Anschlägen auf das menschliche Leben und die Familie das Ärgernis nicht wahrnehmen, dann wäre ihr Bewußtsein bezüglich der Wirklichkeiten, die am meisten heilig sind, nicht ausgebildet oder vernebelt.


Das Gemeinwohl und die Förderung der Kultur des Lebens

Um die Kultur des Lebens voranzubringen, müssen wir schließlich einen klaren Begriff über die objektive Bedeutung des Gemeinwohls haben. Das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil beschrieb das Gemeinwohl als „die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen“ (Gaudium et spes, 27). Diese Vollendung von Einzelnen wie von Gesellschaften steht nicht im subjektiven Ermessen von denjenigen, die etwa an der Macht sind. Die Vollendung, um die es geht, ist in die ureigene Natur des Menschen eingeschrieben, ja in die Natur selbst. Es ist die Vollendung, auf die hin Gott uns und unsere Welt geschaffen hat, nicht die Vollendung, die wir zu irgendeinem Zeitpunkt vielleicht anziehend oder nützlich finden. Es ist interessant anzumerken, daß das englische Wort fulfillment (Vollendung) die Übersetzung des lateinischen Wortes perfectio ist, welches die Vollkommenheit des Einzelnen oder der Gruppe meint, gemäß der wesenseigenen Natur und letzten Ausrichtung des Menschen.

Um die Kultur des Lebens voranzubringen, müssen wir klar sein über die objektive Natur des Gemeinwohls und die Vollkommenheit, die es ermöglicht. Nicht jedermann, der den Begriff des Gemeinwohls benutzt, versteht dessen wahre Bedeutung. Ein berühmter europäischer katholischer Theologe, der die Grußworte des amerikanischen Präsidenten Barack Obama bei der akademischen Abschlußfeier an der Notre Dame Universität am 17. Mai 2009 kommentierte, stellte fest:

„Tatsächlich scheint die Rede, gehalten an der Notre Dame Universität, durchsetzt von Bezügen, die aus der christlichen Überlieferung stammen. Zum Beispiel kehrt in ihr oftmals ein Ausdruck wieder – der Begriff des ‚gemeinsamen Grundes’ (common ground) – , der mit einem fundamentalen Konzept der kirchlichen Soziallehre, nämlich dem des Gemeinwohls, korrespondiert“ (Georges Cottier, O.P., La politica, la morale e il peccato originale, in: 30giorni, 2009, no.5, 33).

Das Gemeinwohl bezieht sich auf eine objektive Vollkommenheit, welche nicht durch die gemeinsame Übereinkunft einiger von uns definiert ist. Das Gemeinwohl ist definiert durch die Schöpfung selbst, da es aus der Hand des Schöpfers stammt. Die Vorstellung des gemeinsamen Grundes korrespondiert nicht nur nicht mit der Realität des Gemeinwohls, sie kann selbst sogar zu dieser im Gegensatz stehen, dann etwa, wenn in einer allgemeinen gesellschaftlichen Übereinkunft etwas als gut für die Gesellschaft akzeptiert wird, was in Wirklichkeit immer und überall ein Übel ist.

In den Worten Papst Benedikts XVI.: Das Gemeinwohl „ist das Wohl jenes ‚Wir alle’, das aus Einzelnen, Familien und kleineren Gruppen gebildet wird, die sich zu einer sozialen Gemeinschaft zusammenschließen“ (Caritas in veritate, 7). Das Gemeinwohl entspricht den realen Bedürfnissen unserer Nächsten: „Jeder Christ ist zu dieser Nächstenliebe aufgerufen, in der Weise seiner Berufung und entsprechend seinen Einflußmöglichkeiten in der Polis“ (Caritas in veritate, 7). Papst Benedikt XVI. tröstet uns und drängt uns, vorwärtszugehen in der Suche nach dem Gemeinwohl:

„Die Liebe Gottes ruft uns zum Aussteigen aus allem, was begrenzt und nicht endgültig ist; sie macht uns Mut, weiter zu arbeiten in der Suche nach dem Wohl für alle, auch wenn es sich nicht sofort verwirklichen läßt, auch wenn das, was uns zu verwirklichen gelingt – uns und den politischen Autoritäten und Wirtschaftsfachleuten –, stets weniger ist als das, was wir anstreben. Gott gibt uns die Kraft, zu kämpfen und aus Liebe für das gemeinsame Wohl zu leiden, weil er unser Alles, unsere größte Hoffnung ist“ (Caritas in veritate, 78).


Fazit

Laßt uns, dem Lehramt gehorsam, mit neuer Begeisterung und neuer Energie uns einsetzen im Kampf für die Förderung der Kultur des Lebens in unserer Welt. Der Kampf ist anspruchsvoll, und die widersacherischen Kräfte sind zahlreich und raffiniert. Doch der Sieg ist bereits errungen, und der Sieger unterläßt es nie, im Kampf an unserer Seite zu stehen, getreu Seiner Zusage an uns: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20).

Allein der Gehorsam dem Lehramt gegenüber ist der Weg, am Sieg des ewigen Lebens teilzuhaben, und der Dienst der Bischöfe, uns zu einem je reineren und kraftvolleren Gehorsam zu führen, ist unersetzlich. Es gibt keinen andern Weg zum Heil als dem Wort Gottes zuzuhören und es mit unserem ganzen Sein in die Tat umzusetzen. Wir wissen, daß wir dann, wenn wir die Wahrheit aussprechen und die Wahrheit leben, die da ist Christus, der Herr des Himmels und der Erde, eine Kultur des Lebens in unserer Welt fördern, eine Kultur, in der das Gemeinwohl für alle sichergestellt und gewährleistet ist, ohne  Einschränkung oder Ausnahme.

Der Hebräerbrief, der uns in besonderer Art und Weise den „Gehorsam des Glaubens“ lehrt, erinnert uns daran, daß unser Herr selbst „durch Leiden den Gehorsam lernte“ und ebenso für uns alle zum Urheber des ewigen Lebens, des ewigen Heils geworden ist. Wir bitten um den Gehorsam Christi jedesmal, wenn wir das Vaterunser beten, in dem die Worte stehen, die uns der Herr selbst lehrte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ Der Katechismus der Katholischen Kirche versichert uns in seinem Kommentar zu dieser Bitte des Herrengebets, daß wir, inspiriert durch das Gebet, durch Christi Gebet in uns, in der Lage sind zu tun, wozu wir aus uns heraus unfähig sind, wozu wir jedoch fähig sind dann, wenn wir in Christus sind, aufgrund des Heiligen Geists, der aus Seinem durchbohrten glorreichen Herzen ausströmt:

„Jesus hat ‚obwohl er der Sohn war … durch Leiden den Gehorsam gelernt‘ (Hebr 5,8). Wieviel mehr gilt das für uns Geschöpfe und Sünder, die wir in Jesus an Kindes Statt angenommen wurden? Wir bitten unseren Vater, unseren Willen mit dem seines Sohnes zu vereinen, damit wir seinen Willen, den Ratschluß des Heiles für das Leben der Welt, erfüllen. Aus uns selbst sind wir dazu völlig unfähig, aber mit Jesus vereint und mit der Kraft seines Heiligen Geistes können wir dem Vater unseren Willen übergeben und uns zu dem entschließen, wozu sich der Sohn stets entschieden hat: Das zu tun, was dem Vater gefällt“ (KKK,  2825).

Vertrauen wir uns selbst und unsere Welt den Gebeten der Muttergottes an. Durch ihre ununterbrochene mütterliche Fürsorge wird sie nicht fehlgehen, uns und unsere Welt zur Wahrheit zu bringen, zu ihrem göttlichen Sohn, unserem Herrn Jesus Christus. Zum Schluß mache ich mir das Gebet zu eigen, mit dem Papst Benedikt seine Enzyklika Caritas in veritate abschloß:

„Die Jungfrau Maria, die von Papst Paul VI. zur Mater Ecclesiae erklärt wurde und vom christlichen Volk als Speculum iustitiae und Regina pacis verehrt wird, beschütze uns und erhalte uns durch ihre himmlische Fürsprache die Kraft, die Hoffnung und die Freude, die wir brauchen, um uns weiterhin großzügig der Verpflichtung zu widmen, »die Entwicklung des ganzen Menschen und aller Menschen« zu verwirklichen“ (Caritas in veritate, 79).


+ Raymond Leo Burke
Erzbischof em. von Saint Louis
Präfekt der Apostolischen Signatur;
am 20. November 2010 in den Kardinalsrang erhoben